Warum wir essen, was grad "in" ist

... die Antworten darauf gibt uns Prof. Dr. Jana Rückert-John von der Hochschule Fulda

Hier werden einmal die soziologischen Aspekte der aktuellen Ernährungstrends beschriieben, denn Ernährungsformen gibt es ja eine ganze Menge:

Der eine verzichtet auf Zucker, der andere komplett auf Kohlenhydrate, Paleo ist noch immer "angesagt", doch auch vegetarisch oder - noch etwas strenger -  die vegane "Variante" findet immer mehr "Anhänger".

Es gibt Menschen, die ernähren sich nur von Obst und es gibt welche, die essen nur das, was die Natur "von sich aus gibt" - was bedeutet, dass der Apfel erst dann gegessen wird, wenn er vom Baum gefallen ist.

Doch was steckt hinter diesen "Trends" und warum essen wir nicht mehr das, was uns wirklich schmeckt?

Die Antworten darauf gibt uns die Ernährungsexpertin Prof. Dr. Jana Rückert-John

  • Gibt es Ernährungsformen, die Sie für besonders extrem halten und wenn ja, warum?

Den Begriff „extrem“ finde ich irritierend. Extreme Ernährungsform – ich würde das eher unter aktuelle Ernährungstrends fassen, weil ich es schwierig finde, zu bewerten, was extrem ist. Aber was Sie sicherlich damit meinen: Es gibt ein breites Spektrum von Ernährungstrends, die wir derzeit in der Gesellschaft beobachten. Angefangen bei z.B. Paleo oder auch Frei-von-Diät oder Veganismus/Vegetarismus und auch der Biokonsum wäre so etwas, denke ich. Also diese Vielfalt, die ist, wie ich finde, sehr spannend und ich denke, das kann man alles auch als Ernährungstrends bezeichnen.

  • Sind Ernährungstrends etwas Neues, oder gab es schon immer Menschen, die einen Hang zu besonderen Essgewohnheiten hatten?

So etwas gab es natürlich schon immer. Wenn man zum Beispiel den Vegetarismus anschaut, dann ist das nichts Neues. Das hatten wir auch schon zu Zeiten der Lebensreformbewegung des letzten Jahrhunderts. Aber was neu ist, ist diese Vielfalt und, dass verschiedene Gewohnheiten jetzt so explizit als spezielle Ernährungsweisen bezeichnet werden. Meines Erachtens hängt das auch stark damit zusammen, dass wir – nicht nur, aber natürlich auch im Ernährungsbereich – in einer Welt leben, in einer Moderne, die immer komplexer wird.

Im Kontext von Globalisierung und Internationalisierung, aber auch von Technologien und der Zunahme des wissenschaftlichen Knowhows kommt es zu einer immer weiteren Zunahme an Komplexität.

Diese geht für viele Menschen häufig mit einer Verunsicherung einher.
Wenn man zum Beispiel ins Internet schaut, gibt es da zahlreiche Empfehlungen. Und letztendlich überfordert uns dieses Mehr und diese Vielfalt. Die Ernährungstrends stellen eine Art von Reduktion dieser Komplexität dar. So wird mit einfachen Wahrheiten gesagt: „Wenn du das isst, bist du auf der sicheren Seite.“ Meines Erachtens liegt die soziale Funktion dieser Trends in der Reduktion der Komplexität und in dem damit suggerierten und versprochenen Wiedererlangen von Sicherheit, von Struktur, von Übersichtlichkeit.

  • Warum ist es heutzutage denn so modern, einer ganz bestimmten Diät zu folgen und nicht einfach zu essen, was einem schmeckt? Gibt es aus soziologischer Sicht eine Erklärung hierfür?

Wie schon gesagt, ist eine der sozialen Funktionen dieser Trends die Komplexitätsreduktion. Aber eine weitere Funktion ist auf jeden Fall auch die identitäre Selbstbeschreibung. Das, was ich esse, wie ich esse, aber zunehmend auch, was ich NICHT esse – also diese Abgrenzung und dieser Ausschluss – dient auch dazu, Identität zu bestimmen.

Identität heißt immer, mich selbst zu beschreiben:
Wer bin ich und was zeichnet mich aus? Das kann man vortrefflich und gerade in der Überflussgesellschaft, wo es wirklich eine Vielzahl und Vielfalt von Angeboten gibt, sehr gut über das Essen und Trinken.

  • Wenn man das zum Beispiel mal beim Vegetarismus oder Veganismus betrachtet:

Indem Anhänger dieser Ernährungsformen sagen: „Nein, ich esse kein Fleisch, ich bin für die damit verbundenen Probleme wie Klimaveränderungen und Tierquälerei nicht verantwortlich“, weisen sie diese Verantwortung von sich. Letztlich geht diese Selbstbeschreibung immer auch mit einer Abgrenzung von anderen mittels moralischer Kommunikation einher, indem gesagt wird: „Andere machen das, aber ich bin besser, weil ich mich bewusst ernähre“.

  • Sind Ernährungstrends eine Frage der sozialen Schicht? Und sind Männer und Frauen gleichermaßen anfällig für neue Trends?

An Umfragewerten kann gezeigt werden, wie sich das verhält. Was zum Beispiel den Veganismus/Vegetarismus angeht: Das ist eindeutig ein weibliches Phänomen.

Etwa 80 % sind Frauen, die zumeist jüngeren Alters zwischen 20 und 30 Jahren und gut gebildet sind. Das weist darauf hin, dass sie eine hohe Reflexivität besitzen, sie also stark über Fragen der Ernährung nachdenken und reflektieren und dementsprechend auch entscheiden, bestimmte Dinge abzulehnen. Auch historisch lässt sich festhalten, dass es bei Frauen eine höhere Sensibilität, ein höheres Interesse für Fragen des Essens, der Ernährung, des Körperbewusstseins, usw. gibt.

  • Inwiefern beeinflussen Ernährungstrends auch die Außer-Haus-Verpflegung?

Die Außer-Haus-Verpflegung umfasst ein breites Spektrum: darunter fallen Schulverpflegung Betriebsverpflegung, Verpflegung in Krankenhäusern, etc. Jeder dieser Bereiche hat natürlich auch besondere Spezifika. Wenn sie zum Beispiel an Schulverpflegung denken, dann haben wir laut einer aktuellen Studie in diesem Bereich eine sehr defizitäre Lage. So ist das Angebot recht mäßig. Vor dem ganzen Hintergrund der sehr niedrigen Preise sind aber auch nur beschränkte Möglichkeiten vorhanden, Trends aufzugreifen und aktiv zu bedienen.

Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass diese Trends auf Widerhall stoßen.
Wenn man sich zum Beispiel das GV-Barometer anschaut – das ist eine Umfrage unter Küchenchefs der Gemeinschaftsverpflegung – sieht man, dass diese Themen und Trends durchaus wahrgenommen werden. Sicherlich nicht in dieser breiten Vielfalt – wenn man von Paleo und Frei-von-Diät und diesen Dingen redet.

Wenn man mit Mensa-Chefs spricht, dann reflektieren diese schon, dass eine immer größere Vielfalt nachgefragt wird. Da braucht es neben dem „normalen“ Essen auch ein vegetarisches und ein veganes, usw. Das ist für Küchenchefs vor dem Hintergrund begrenzter Mittel eine große Herausforderung.

Aber es ist wie gesagt durchaus so, dass sie den Bedarf wahrnehmen und es vielfältige Ansätze gibt, darauf zu reagieren. Ich denke, eine Salattheke und vegetarische Angebote, das gehört heute ja schon zur Normalität in vielen Betriebsrestaurants und Mensen.

  • Was ist Ihre Prognose: Wie wird die Esskultur der Zukunft aussehen? Wird es vielleicht irgendwann wieder eine Besinnung auf das „Normale“ geben, oder werden diese Trends immer beliebter werden?

Ich denke, dass diese Diversifizierung und die Zunahme an Trends sicherlich noch weiter ausgereizt werden können. Denn – wie gesagt – dahinter steht ein sozialer Bedarf nach Orientierung; nach konkreten, vereinfachten und weniger komplexen Angeboten und Lösungen. Und diese Trends werden durch andere Veränderungen begleitet, wie zum Beispiel das Self-Tracking. Also der Möglichkeit, sich durch Apps selbst zu kontrollieren; zu dokumentieren, was man isst und wie viel und zu erfahren, ob das okay ist.

Das ist eine Entwicklung, die die Ernährungstrends begleitet und auch befeuert und unterstützt. Insofern denke ich, dass diese sicherlich noch zunehmen werden. Eine positive Begleiterscheinung der Ernährungstrends ist, dass dadurch auch das Nachdenken über Essen und Ernährung zunimmt.

Aber gleichzeitig geht damit eine Art Selbstkontrolle einher, die auch in krankhafte, überzogene, übertriebene Tendenzen ausarten kann. Und ich glaube, was damit auch immer schwieriger wird, ist, den Genussfaktor und das unkomplizierte Essen zu bewahren – sich einfach zusammenzusetzen und zu genießen; Spaß und Freude am Essen zu haben. All das wird natürlich durch die Kontrolle ein Stück weit überlagert.

Stellen Sie sich vor, dass jeder am Tisch sitzt und sagt: „Ich brauche mein Essen vegan“, und ein anderer sagt dann: „Oh ne, ich brauche Paleo“, das wird dann natürlich auch ziemlich kompliziert und sehr anstrengend. Es kann durchaus sein, dass das unbeschwerte, mit Lust und Spaß verbundene Essen, was eine wichtige Komponente der Esskultur darstellt, darunter leidet. Das wäre bedauerlich.

Wer gern mehr erfahren möchte, schaut vielleicht direkt unter GIVE e.V. - http://www.give-ev.de/