Was uns die Dicke der Hirnrinde über das Altern verrät
Studienergebnisse belegen: Obwohl das Gehirn im Alter an Volumen abnimmt, werden große Teile der Hirnrinde vor dem Verfall bewahrt
Vergesslichkeit, schlechtere Wahrnehmung, nachlassende Konzentrationsfähigkeit: Diese Begriffe werden häufig mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht.
Der Grund:
Die Hirnrinde wird dünner – ein charakteristisches Merkmal des menschlichen Alterns. Erstmals ist es nun Tübinger Forschenden gelungen, mittels innovativen Bildgebungs- und Berechnungsmethoden die verschiedenen Schichten der Hirnrinde separat voneinander zu untersuchen und die Veränderungen der Hirnrindenschichten im Laufe des Alters zu messen.
Das Ergebnis:
Nicht alle Schichten altern gleich stark. Obwohl das Gehirn im Alter an Volumen verliert, werden insbesondere die mittleren Schichten vor dem Verfall bewahrt
Wenn vom Altern die Rede ist, dann ist meistens die allmähliche Beeinträchtigung der sogenannten kortikalen Hirnregion gemeint. Diese zeigt sich typischerweise in zunehmender Vergesslichkeit, einer schlechteren Wahrnehmung und einer nachlassenden Verarbeitung von äußeren Reizen, wie etwa von Geräuschen oder Sprache.
Charakteristisch dafür ist eine ausgedünnte Hirnrinde, die über die Jahrzehnte immer weiter an Volumen verliert. Die Hirnrinde oder auch Neokortex genannt, ist auch für höhere kognitive Funktionen wie Denken, Planen und Entscheidungsfindung verantwortlich und enthält hauptsächlich die grauen Nervenzellen.
Die sechs Schichten der Hirnrinde bauen unterschiedlich stark im Alterungsprozess ab
Häufig wird in der Alterungsforschung jedoch außer Acht gelassen, dass die Hirnrinde selbst aus sechs verschiedenen Schichten besteht, die jeweils eigene Funktionalitäten und eine eigene Anatomie aufweisen.
So werden hereinkommende Signale zunächst in den mittleren Schichten verarbeitet und zur Weiterleitung dann in die oberen Schichten integriert. Die tieferen Schichten spielen insbesondere für die Filterung von Informationen eine Rolle, notwendig bei Konzentration oder Multitasking.
Bislang konnte nur schwer untersucht werden, wie die altersbedingte Degeneration sich auf die einzelnen Schichten auswirkt – und wie die Degeneration ältere Menschen konkret im Alltag beeinträchtigt.
Unter Leitung von Prof. Dr. Esther Kühn, Professorin an der Medizinischen Fakultät Tübingen und Forschungsgruppenleiterin am Hertie Institut für klinische Hirnforschung, ist es Tübinger Forschenden gelungen, die Dicke verschiedener Hirnschichten separat am lebenden Menschen zu messen.
Das Gehirn altert unterschiedlich
Mittels des Einsatzes von Ultrahochfeld Magnetresonanztherapie (MRT) und der Kombination mit neuen Berechnungsmethoden zur Bestimmung der Hirnrindenschichten entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erstaunliches: Nur die tieferen Schichten der Hirnrinde nehmen mit dem Altern ab, nicht aber die mittleren und oberflächlichen Schichten.
„Obwohl das Gehirn insgesamt mit dem Alter an Volumen abnimmt, bleiben große Teile der Hirnrinde von diesem Prozess verschont. Dies erklärt möglicherweise die oft bemerkenswerten Fähigkeiten älterer Menschen, die Umgebung um sich herum präzise wahrzunehmen und komplexe kognitive Aufgaben zu lösen“, erläutert Prof. Dr. Esther Kühn.
„Weil die tieferen Hirnschichten, die für Signalverarbeitung und Filterfunktionen zuständig sind, im Alter dünner werden, fällt es älteren Menschen hingegen oft schwerer, störende Umgebungsgeräusche auszublenden oder sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren.“, ergänzt sie.
Die Daten weisen darüber hinaus darauf hin, dass das Gehirn die Teile der Hirnrinde vor dem Verfall bewahrt, die es auch häufig nutzt. So gaben die mittleren Schichten, wo hereinkommende Signale verarbeitet werden, an einer Person, die nur mit einem Arm geboren wurde, Anzeichen einer nutzungsabhängigen Plastizität des Gehirns. Also der Fähigkeit, sich strukturell zu verändern, wenn das bestimmte Gehirnareal kontinuierlich genutzt wird.
Ablauf der Untersuchung
Es wurden zwei Kohorten von Probanden untersucht, die jeweils in zwei Gruppen eingeteilt wurden: Die erste Kohorte bestand aus insgesamt 40 Probanden, davon jeweils 20 Jüngere (Altersschnitt 28 Jahre) und 20 Ältere (Altersschnitt 68 Jahre), genau wie die zweite Kohorte. Unter Einsatz von Tiermodellen an Mäusen konnten die Befunde ebenfalls reproduziert werden und so die zu Grunde liegenden Mechanismen aufzeigen.
„Unsere Erkenntnisse machen Hoffnung fürs Älterwerden: Viele Gehirnfunktionen bleiben auch im hohen Alter erhalten – vorausgesetzt, man nutzt sie regelmäßig.“, stellt Prof. Kühn fest.
Quelle:
Universitätsklinikum Tübingen - Mitteilung vom 25. August 2025
Titel der Originalpublikation:
Liu, P., Doehler, J., Henschke, J.U. et al. Layer-specific changes in sensory cortex across the lifespan in mice and humans. Nat Neurosci (2025).