ÄKWL: Suchtmedizin ist ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung geworden
34 Jahre Beratungskommission „Sucht und Drogen“ und suchtmedizinisches Engagement in Westfalen-Lippe
„Die Zukunft der Suchtmedizin liegt in der Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg. Sie ist ein anspruchsvolles und zugleich zutiefst sinnstiftendes Tätigkeitsfeld, das fachliche Kompetenz mit Empathie und gesellschaftlicher Verantwortung verbindet“, erklärt der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. Hans-Albert Gehle, anlässlich des gestrigen Fachtages Sucht und Drogen der Kammer.
Nur durch ein gemeinsames Wirken von Medizin, Psychologie, Sozialarbeit und Prävention könne ein erweitertes suchtmedizinisches Verständnis entstehen: „Eines, das den immer wieder neu entstehenden Herausforderungen durch neue Formen von Sucht begegnet und zugleich Ansätze der Schadensminimierung einbezieht.“
Die ÄKWL habe bereits Anfang der 1990er die Weichen für eine suchtmedizinische Versorgung gestellt, die auf Empathie, Entstigmatisierung und fachlicher Kooperation sowie Kompetenz basiere und so bis heute zur nachhaltigen Weiterentwicklung der Substitutionsbehandlung beitrage. Diese sei längst ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung geworden.
Die Kammer werde auch künftig die Weiterentwicklung der suchtmedizinischen Versorgung und der Prävention aktiv, positiv und pragmatisch unterstützen. Denn nur gemeinsam könne man erreichen, dass suchtkranke Menschen die Hilfe erhalten, die sie „menschlich, professionell und auf Augenhöhe brauchen“, so Gehle.
Sucht sei eine Volkskrankheit. Millionen Menschen in Deutschland seien durch Alkohol, Medikamente, illegale Substanzen oder aber auch durch nicht-stoffgebundene Abhängigkeiten wie Glücksspiel oder digitale Mediennutzung betroffen.
Gehle: „Der Bedarf an suchtmedizinischer Expertise wächst, in Hausarztpraxen, Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Ärztinnen und Ärzte mit suchtmedizinischer Zusatzqualifikation ab, insbesondere im ländlichen Raum.“
Im Bereich der ÄKWL verfügen laut Kammer derzeit rund 1.300 Ärztinnen und Ärzte über die Zusatzbezeichnung „Suchtmedizinische Grundversorgung“. Doch auch hier zeige die Altersstruktur, dass ein Generationenwechsel bevorsteht, sagt Kammerpräsident Gehle und fordert: „Wir brauchen daher neben entsprechenden Strukturen, vor allem Nachwuchsförderung.“
Hintergrund:
Als sich die Ärztekammer Westfalen-Lippe Anfang der 1990er-Jahre erstmals intensiv mit Fragen der Sucht und Drogen befasste, war das alles andere als selbstverständlich. Bereits 1991 unterstützte die Kammer aktiv die Behandlung opioidabhängiger Menschen mit L-Polamidon – medizinisch wie gesundheitspolitisch. Diese frühe Positionierung war Ausdruck einer Haltung, die Sucht als ernstzunehmende Erkrankung verstand – und nicht als individuelles Fehlverhalten.
Im selben Jahr wurde die Beratungskommission ins Leben gerufen – damals noch unter dem etwas sperrigen Titel „Medikamentengestützte Rehabilitation i.v.-Opiatabhängiger mit L-Polamidon“. Zwei Jahre später erhielt sie den bis heute gültigen Namen „Beratungskommission Sucht und Drogen“ – ein Zeichen für die wachsende Bedeutung und Breite des Themas. Im Jahr 1992 veröffentlichte die Kommission den ersten Leitfaden zur Behandlung intravenös Opiatabhängiger, der in den Folgejahren fortgeschrieben und 2003 zur inhaltlichen Grundlage der entsprechenden Richtlinie der Bundesärztekammer wurde.
Von Beginn an war die Arbeit der Kommission multiprofessionell geprägt. Sie suchte den Dialog mit Suchthilfeeinrichtungen, Kliniken, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie mit Verwaltung und Politik. Sie verstand sich stets als Brücke zwischen Praxis, Wissenschaft und gesundheitspolitischer Verantwortung.
Zu den wichtigen Wegmarken dieser Entwicklung gehören die Etablierung suchtmedizinischer Weiterbildungen und Curricula, Projekte wie die Qualitätssicherung der ambulanten Substitutionstherapie Opioidabhängiger (ASTO) oder die Erstellung des Leitfadens zur Substitutionstherapie in Haft.