Placebos verbesserten das Befinden bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen

Eine Studie der Universitätsmedizin Essen zeigte: Patienten mit chronischen Rückenschmerzen profitieren von einer Therapie mit Placebos.

Der Schmerz war gelindert, außerdem fühlten sie sich „fitter“ und weniger depressiv – und das, obwohl die Studienteilnehmer wussten, dass sie Placebos einnahmen!

Der schmerzlindernde Effekt der Placebos war in etwa so hoch wie der eines NSAID (nichtsteroidalen Antirheumatikums). „Es lohnt sich, den Placeboeffekt in bestehende Therapiekonzepte einzubinden“, so der DGN-Pressesprecher Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen.

Placebos können in der Schmerztherapie helfen – sogar, wenn die Studienteilnehmer sich darüber im Klaren sind, dass es sich um Placebos handelt – so lässt sich in Kürze das Ergebnis einer Studie des Universitätsklinikums Essen an 127 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zusammenfassen.

Die Patienten, die mindestens 12 Wochen lang unter Rückenschmerzen gelitten hatten, wurden in zwei Gruppen unterteilt.

  • Die eine Gruppe (n=60) erhielt die gleiche Behandlung wie zuvor,

  • die zweite (n=67) erhielt zusätzlich 21 Tage lang zweimal täglich ein Placebo.

Vor Studienbeginn war allen Studienteilnehmern ein Video vorgeführt worden, das über den sogenannten Placeboeffekt und die neueste Studienlage zu möglichen positiven Effekten einer offenen Placebogabe informierte.

Die Patienten waren also informiert, dass sie eine wirkstofffreie Substanz einnehmen. Den Patienten in der Vergleichsgruppe wurde versichert, dass sie nach Ablauf der Studie ebenfalls eine Placebo-Anwendung erhalten können.

Die Gruppen unterschieden sich nicht signifikant in Alter, Geschlecht und Schmerzintensität zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses, allerdings war der BMI in der Gruppe, die zusätzlich mit Placebo behandelt wurde, höher (28,18 vs. 25,72).

Die Studie untersuchte zum einen die von den Patienten berichteten Behandlungserfahrungen wie Schmerzlinderung und funktionelle Beeinträchtigung im Alltag („patient reported outcomes“), aber auch objektive Kriterien wie die Beweglichkeit der Wirbelsäule im Hinblick auf Bewegungsausmaß und -geschwindigkeit, die mit Sensoren auf der Wirbelsäule gemessen wurden.

Die Schmerzintensität stellte als subjektiver Parameter den primären Endpunkt dar, sekundäre Endpunkte waren die schmerzbedingte Einschränkung, Depression, Angst und Stress, die mittels standardisierter Fragebögen erhoben wurden.

Im Ergebnis zeigte sich, dass die Gruppe, die mit Placebos behandelt worden war, eine signifikant stärkere Abnahme der Schmerzintensität aufwies (p=0,001), sich funktionell weniger eingeschränkt fühlte (p=0,02) und angab, weniger depressiv zu sein (p=0,01).

Auch fragten die mit Placebo behandelten Patienten im Trend weniger häufig nach einer Notfallmedikation, also zusätzlichen Schmerzmitteln.

Die objektiv erhobenen Parameter waren hingegen zwischen den Gruppen nicht unterschiedlich. Wie aber ist es zu erklären, dass Placebos das subjektive Befinden signifikant verbessern konnten, obwohl den Studienteilnehmern sogar klar war, dass sie Placebos, also völlig wirkstofffreie Kapseln, erhalten hatten?

Dr. Julian Kleine-Borgmann, Erstautor der Studie, und Frau Prof. Ulrike Bingel, die Projektleiterin, führen an, dass die Mechanismen einer offenen Placebo-Anwendung noch nicht hinreichend erforscht sind.

Patienten könnten durch das Informationsvideo unbewusste positive Erwartungen im Hinblick auf das Placebo entwickelt haben, obwohl die gemessene Erwartung in der Placebo-Gruppe in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Schmerzlinderung stand.

Eine weitere Hypothese ist die Umdeutung sogenannter natürlicher Fluktuationen: Es ist bekannt, dass chronische Rückenschmerzen in ihrer Intensität über den Verlauf schwanken. Möglicherweise führen schmerzärmere Phasen dazu, dass positive Erwartungen im Sinne einer „self-fulfilling prophecy“ erfüllt werden, wodurch der Glaube an einen positiven Effekt der Placebos weiter bestärkt wird.

Kleine-Borgmann und Kollegen sind der Überzeugung, dass das therapeutische Potenzial von Placebos weiter untersucht werden sollte – Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der DGN, geht noch einen Schritt weiter: „Es lohnt sich, den Placeboeffekt stärker in bestehende Therapiekonzepte einzubinden. Dazu gehört eine positive Darstellung des zu erwartenden Therapieerfolges.“

Er hebt hervor, dass bei chronischen Schmerzerkrankungen die Psyche eine wichtige Rolle spielt und auf das subjektive Schmerzempfinden Einfluss nehmen kann.

„Wenn wir die subjektive Schmerzlast der Patienten – und sei es auch nur bei einem Teil der Patienten – durch ein Aufklärungsvideo und die Ergänzung des Placeboeffektes nennenswert senken können, sollten wir diese Option nutzen. Chronische Schmerzpatienten haben einen enormen Leidensdruck, der sie körperlich und seelisch zermürbt, eine Therapie, die zu einer subjektiven Verbesserung führt, hat Berechtigung – auch wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen noch nicht vollständig verstehen.“

Quelle:
Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) vom  5. Februar 2020    


Literatur
[1] Kleine-Borgmann J, Schmidt K, Hellmann A, Bingel U. Effects of open-label placebo on pain, functional disability, and spine mobility in patients with chronic back pain: a randomized controlled trial. Pain 2019; 160 (12): 2891-2897. doi: 10.1097/j.pain.0000000000001683.