Das Immunsystem: Partner im Kampf gegen Krebs

Gegen fortgeschrittenen Lungenkrebs gibt es eine Therapie, die das von der Krankheit ausgebremste Immunsystem wieder durchstarten lässt.

Eine Patientengeschichte aus dem Ratgeber aus Ihrer Apotheke, die Mut macht.

Niemals zuvor hatte Helga Kröner-Schock den jährlichen Familienurlaub in der Toskana so sehr herbeigesehnt wie im Sommer 2013. Nach einer Reihe von Schicksalsschlägen in der Verwandtschaft fühlte sich die damals 52-Jährige ausgelaugt und erholungsreif. Doch aus der Italienreise mit ihrem Mann und den drei Söhnen wurde nichts, weil sich zu dem Erschöpfungszustand urplötzlich Sprachstörungen gesellten: „An der Supermarkttheke konnte ich nicht mehr sagen, was ich kaufen will“, erzählt Helga Kröner-Schock.

Die Hausärztin überwies ihre Patientin zu einem Neurologen. Es folgte eine Computertomografie des Kopfes, um den Sprachstörungen auf den Grund zu gehen. Der Befund war niederschmetternd: Auf den Röntgenbildern zeigten sich drei Krebsmetastasen im Gehirn – ein untrügliches Zeichen dafür, dass anderswo im Körper unbemerkt eine bösartige Geschwulst wuchs, die bereits gestreut hatte. Nach diesem sogenannten Primärtumor fahndeten dann Ärzte am Universitätsklinikum Tübingen – und wurden in der Lunge fündig. „Nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom im fortgeschrittenen Stadium“ lautete die düstere Diagnose.

Immer neue Metastasen Seitdem sind vier Jahre ins Land gegangen, obwohl die Ärzte ihrer Patientin Helga KrönerSchock wenig Hoffnung machen konnten. Von einer ungünstigen Prognose war die Rede und tatsächlich bildeten sich trotz Bestrahlung bald neue, schnell wachsende Metastasen in den Lymphknoten am Hals. Eine Chemotherapie zeigte daraufhin gute Wirkung, musste aber wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden. Schon bald kehrte der Krebs mit Macht zurück – auch im Bereich der Nieren, der Schulter, des Beckens und der Wirbelsäule entstanden Tochtergeschwülste. „Mein Zustand verschlechterte sich rasant. Am Ende ist sogar einer meiner Brustwirbel eingestürzt“, erzählt Helga Kröner-Schock. „Zeitweise konnte ich mich ohne starke Schmerzmittel nicht mehr bewegen.“

Doch die Ärzte gaben nicht auf: Professor Hans-Georg Kopp, Oberarzt der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen, Innere Medizin II, informierte seine Patientin über die neuartigen Behandlungsmöglichkeiten mit der sogenannten immunonkologischen Therapie. „Das eigene Immunsystem im Kampf gegen den Krebs zu nutzen, hat für mich und meinen Mann sofort Sinn ergeben“, erinnert sich Helga Kröner-Schock. Sie erhielt daraufhin mehrfach Infusionen mit einem sogenannten Checkpoint-Antikörper, der zur Behandlung des inoperablen metastasierten nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms und des fortgeschrittenen malignen Melanoms (schwarzer Hautkrebs) zugelassen ist.

Hintergrund der Behandlung: Das Immunsystem besitzt Bremsvorrichtungen, sogenannte Immun-Checkpoints, die der Organismus betätigt, um zu starke Immunreaktionen zu verhindern. Diesen Bremsmechanismus machen sich auch Tumorzellen zunutze, um nicht angegriffen zu werden. Der Checkpoint-Antikörper nimmt nun sozusagen den Fuß von der Bremse: Indem er sich an Killerzellen heftet, werden diese unempfänglich für die von den Krebszellen ausgesendeten Stoppsignale und können daraufhin wieder durchstarten, das heißt den Krebs ins Visier nehmen und zerstören.

Zurück ins Leben Die Therapie wurde im Oktober 2016 abgeschlossen. Mit Erfolg: Helga Kröner-Schock kann heute wieder aktiv am Leben teilnehmen. „Dass es mir wieder bessergehen würde, hätte ich nicht zu hoffen gewagt“, bekennt sie frohen Herzens. Um ihren Gesundheitszustand zu überprüfen, nimmt sie regelmäßig Kontrolltermine wahr. Mittlerweile treibt sie wieder Sport und gibt seit März einen „Wohlfühlgymnastik“-Kurs im Turnverein, um Leidensgenossen nach längerer Krankheit wieder zurück ins Leben zu helfen.

„Frau Kröner-Schock weist eine Besserung durch die Behandlung auf“, freut sich auch Professor Kopp. „Allerdings sprechen nicht alle Patienten im fortgeschrittenen Stadium auf die immunonkologische Therapie an.“ Mithilfe eines sogenannten Biomarkertests lasse sich aber schon im Vorfeld individuell bestimmen, wie wahrscheinlich es sei, dass das Medikament wirke.

Den Krebs austricksen Machen Ärzte sich das Immunsystem zum Verbündeten, um eine Krankheit zu bekämpfen, spricht man von Immuntherapie. Die Immuntherapie in der Krebsmedizin soll bewirken, dass das Immunsystem Krebszellen erkennen und angreifen kann. Weil Tumorzellen aus ursprünglich gesunden Zellen hervorgehen und ihnen ähneln, kann das Immunsystem sie nämlich oft nur schlecht identifizieren und bekämpfen. Überdies sind Krebszellen imstande, dem Immunsystem aktiv auszuweichen: Mal verhindern sie mithilfe von Tarnmechanismen, dass das Immunsystem sie bemerkt, mal schwächen sie die Immunreaktion gezielt ab. Für Mediziner steht fest: Eine „Stärkung“ oder „Stimulation“ des Immunsystems reicht nicht aus, um Krebs wirksam zu bekämpfen. Es gilt vielmehr, die Ausweichmechanismen der Krebszellen auszuschalten und das ausgebremste Immunsystem zu reaktivieren.

Weitere interessante Themen finden Sie im Ratgeber aus Ihrer Apotheke, Ausgabe 9 B / 2017, der ab dem 15. September kostenlos in der Apotheke bereitliegt.

Quelle:
Deutsches Grünes Kreuz e.V. - www.dgk.de