Faszination True Crime

Warum vor allem Frauen das Böse fesselt

Kopfhörer auf, Alltag aus – und dann hinein in Geschichten, die unter die Haut gehen: wahre Verbrechen, präzise rekonstruiert, psychologisch analysiert. Millionen Frauen hören regelmäßig True-Crime-Podcasts.

Doch was macht gerade dieses Genre für sie so faszinierend?

Die Antwort liegt tiefer als vermutet: „True Crime bedeutet nicht nur Spannung. Es geht darum, Kontrolle zurückzugewinnen – in einer Welt, die oft unsicher erscheint“, weiß Prof. Dr. med. Petra Beschoner, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin und Ärztliche Leiterin der Akutklinik Bad Saulgau.

Wissen gibt Sicherheit

Für viele Frauen ist das Eintauchen in reale Verbrechen kein bloßes Gruseln oder Voyeurismus, sondern ein bewusster Lernprozess. Täterprofile, Motive, Verhaltensmuster und Warnzeichen: True-Crime-Inhalte vermitteln das Gefühl, im Ernstfall besser vorbereitet zu sein.

„Wer versteht, wie Gewalt entsteht, fühlt sich ihr weniger ausgeliefert“, sagt Prof. Beschoner.

Die emotionale Nähe zu den geschilderten Situationen – etwa einem Heimweg im Dunkeln oder einem übergriffigen Date – verstärkt den Wunsch, aus den Fällen etwas für das eigene Sicherheitsgefühl mitzunehmen.

„In einer Gesellschaft, in der Frauen überdurchschnittlich häufig Gewalt erfahren, scheint das Verständnis von Täterlogiken als ein Akt der Selbstermächtigung zu sein“, so die Fachärztin.

Gezähmtes Grauen im sicheren Raum

So erschütternd viele Fälle auch sind – der Rahmen bleibt kontrollierbar. True Crime bringt Ordnung ins Chaos: Täter, Opfer, Ermittlungen, Aufklärung. Das Unbegreifliche wird greifbar und das Zuhören zu einer Form innerer Verarbeitung, ohne selbst betroffen zu sein.

„Ein zentrales psychologisches Phänomen ist dabei die sogenannte defensive Vigilanz“, erläutert Prof. Beschoner. „Darunter versteht man eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber potenziellen Gefahren. So schärfen True-Crime-Hörerinnen unbewusst ihren Gefahrenradar – nicht aus Angst, sondern aus einem Wunsch nach Kontrolle. Gerade in alltäglichen Situationen, wo Grenzüberschreitungen oft subtil beginnen, kann dieses Wissen stärken.“

Ungeklärte Fälle aktivieren zudem den inneren Ermittler: Viele Hörerinnen entwickeln eigene Theorien, vergleichen Spuren und ziehen Rückschlüsse. „Es ist fast wie ein interaktives Puzzle, das nicht nur spannend ist, sondern auch das Bedürfnis nach Ordnung und Erklärung stillt“, so die Fachärztin.

Zwischen Empathie und Neugier

Was viele Frauen an True Crime fesselt, ist nicht der reine Schockmoment – sondern das Menschliche hinter den Taten. Beziehungen, emotionale Abhängigkeiten, Manipulation: Themen, die viele aus dem Alltag kennen.

„Es geht oft um die Frage: Wie konnte es so weit kommen?“, sagt Prof. Beschoner.

In vielen Fällen stehen Frauen als Opfer im Mittelpunkt – aber auch als Ermittlerinnen, Journalistinnen oder Podcasterinnen.

 Das gibt dem Thema eine weibliche Perspektive, die klassischen Krimis oder Thrillern oft fehlt. So wird True Crime nicht nur zum Nervenkitzel, sondern auch zu einer stillen Form von Selbstschutz, Empathie – und Empowerment.

Weitere Informationen unter www.akutklinik-badsaulgau.de