Vitamin D- und Calciumsubstitution beugt Drehschwindelanfällen vor

Eine aktuelle koreanische Studie zeigte [1], dass der sogenannte gutartige Lagerungsschwindel („benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel“), kurz: BPPV, bei dem es kopfbewegungsabhängig zu kurzen ausgeprägten Drehschwindelattacken kommt, womöglich im Zusammenhang mit einem Vitamin-D-Mangel steht.

Die Studie zeigte, dass die Supplementierung von Vitamin D und Calcium dazu beitrug, die Häufigkeit der Schwindelattacken zu reduzieren, und somit eine effektive Prophylaxe darstellen könnte.

Schwindel ist neben Kopfschmerzen ein sehr häufiges neurologisches Symptom, das etliche Ursachen haben kann. In Schwindel-Spezialsprechstunden wird am häufigsten (in 17,7% der Fälle, also bei fast jedem fünften Schwindel-Patienten) der sogenannte gutartige Lagerungsschwindel (benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel/BPPV [2, 3]) diagnostiziert.

2,4% aller Menschen erleben irgendwann im Leben einen BPPV [2] – dabei kommt es plötzlich und attackenartig zum Auftreten von starkem Drehschwindel, der durch Kopf- und Körperbewegungen (Kopflageänderungen) ausgelöst wird (typischerweise beim morgendlichen Aufrichten an die Bettkante).

In Ruhe klingt die Attacke relativ schnell ab, kann aber bei erneuter Bewegung sofort wieder ausgelöst werden.

Ursächlich sind „Ohrsteinchen“ (Otokonien), kleinste Kalkpartikel, die normalerweise fest im Gleichgewichtsorgan (Innenohr) verankert sind und dort – anders als Nieren- oder Gallensteine – eine sinnvolle physiologische Funktion erfüllen: sie vermitteln uns das Gefühl von der eigenen linearen Kopfbewegung im Raum.

Wenn sich ein solcher Partikel ablöst und in das Drehorgan (Bogengänge) gelangt, aktiviert er fälschlicherweise die Gleichgewichts-Sinneszellen, so dass im Gehirn eine Drehbewegung registriert wird, obwohl sich der Körper in Ruhe befindet.

Zur Otokonien-Ablösung kann es durch Auslöser (z. B. Kopfprellung oder nach anderen Innenohrerkrankungen) kommen, in über 50% der Fälle tritt ein BPPV jedoch ohne erkennbare Ursache auf. Eine altersbedingte Degeneration der Otokonien scheint hier beizutragen – ältere Menschen sind viel häufiger betroffen.

Als gutartig (benigne) gilt der BPPV, weil er meist (bei ca. 70% der Betroffenen [2]) auch ohne Behandlung wieder abklingt – nach Tagen, Wochen, manchmal jedoch erst nach Monaten (in seltenen Fällen Jahren) und sehr wirksam zu behandeln ist. Er neigt allerdings häufig zu Rezidiven (50-56% innerhalb von 10 Jahren, 80 % davon binnen des 1. Jahres [4]).

Die Patienten sind stark in ihren Alltagstätigkeiten beeinträchtigt, oft ist nicht einmal Laufen ohne Probleme möglich. Die Behandlung erfolgt mittels sogenannter Befreiungsmanöver; dabei bewegt der Arzt den Kopf des Patienten in einer bestimmten Abfolge von Lagerungspositionen, wodurch die Steinchen den Weg aus dem Bogengang heraus finden.

Frühere Untersuchungen ergaben, dass BPPV-Patienten oft erniedrigte Vitamin-D-Spiegel und eine erniedrigte Knochendichte aufweisen – einem Calciummangel entsprechend.

Eine aktuelle Multicenterstudie untersuchte nun erstmals prospektiv den Effekt einer Vitamin-D- und Calcium-Supplementierung zur Prophylaxe des Wiederauftretens des BPPV.

Nach erfolgreicher Behandlung mittels o. g. Befreiungsmanöver wurden die Patienten zu gleichen Teilen randomisiert.

Die Patienten in der Interventionsgruppe (n=518) erhielten, wenn ihr Vitamin-D-Blutspiegel <20 ng/ml erniedrigt war, oral ein Jahr lang täglich Vitamin D (800 I.U.) und Calcium (1000 mg). In der Kontrollgruppe (n= 532) wurden die Patienten ohne Vitamin-D-Gabe nur nachbeobachtet.

Im Ergebnis war die jährliche Rückfallrate in der Interventionsgruppe mit 37,8% signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe mit 46,7% (0,83 gegenüber 1,1 Rezidive pro Personenjahr; Inzidenz RR 0,76; p<0,001).

Der Vitamin-D-Spiegel war bei den behandelten Patienten innerhalb von zwei Monaten von anfangs 13,3 ± 3,9 auf 24,4 ± 7,7 ng/ml angestiegen und lag auch nach einem Jahr noch in diesem Bereich (p<0,001). Die errechnete ‚Number Needed to Treat‘ betrug 3,7; es mussten also nur knapp vier Patienten behandeln werden, um einen Rückfall zu verhindern.

Das manuelle Befreiungsmanöver ist bislang die einzige pathophysiologisch begründete und evidenzbasierte Therapieoption für den BPPV. Nun steht aber erstmals eine medikamentöse Therapie zur Prophylaxe der häufigen Rezidive dieser verbreiteten Schwindelursache zur Verfügung.

„Ein Vitamin-D-Mangel ist in Deutschland nicht selten, daher ist es insbesondere bei BPPV-Patienten mit häufigen Rezidiven oder nach unzureichendem Erfolg der Befreiungsmanöver sinnvoll, die Vitamin-D-Blutspiegel zu untersuchen und bei erniedrigten oder grenzwertigen Spiegeln eine Supplementierung zu beginnen“, betont DGN-Schwindelexperte Prof. Dr. med. Christoph Helmchen, Leiter der Schwindelambulanz UKSH Lübeck. „Vor dem Hintergrund der ausgeprägten Beeinträchtigung durch die Schwindelattacken bei BPPV, der zu Krankschreibungen führt und direkte und indirekte Kosten verursacht, stehen die geringen Therapiekosten von Vitamin D und Calcium dabei in einer sehr guten Relation.“

Quelle:
Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) vom 22. September 2020


Literatur

[1] Jeong SH, Kim JS, Kim HJ et al. Prevention of benign paroxysmal positional vertigo with vitamin D supplementation A randomized trial. Neurology 2020; 95: e1117-e1125 doi: 10.1212/ WNL. 0000000000010343 https://n.neurology.org/content/95/9/e1117

[2] Strupp M. Schwindel aus neurologischer Sicht. Vertigo and dizziness: the neurologist’s perspective. Der Ophthalmologe 2013; 110:7-15 https://link.springer.com/article/10.1007/s00347-012-2573-4

[3] https://dgn.org/wp-content/uploads/2012/11/ll_48_2012_schwindel_-_diagnose.pdf

[4] Thomas Brandt, Doreen Huppert, Joachim Hecht, Cornelia Karch, Michael Strupp. Benign paroxysmal positioning vertigo: a long-term follow-up (6-17 years) of 125 patients. Acta Otolaryngol. 2006 Feb;126(2):160-3. doi: 10.1080/00016480500280140. PMID: 16428193