Schlaganfall-Folgen sind oft unsichtbar

270.000 Menschen sind pro Jahr in Deutschland betroffen. Er ist die häufigste Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter.

Was die wenigsten wissen:
Noch häufiger hinterlässt der Schlaganfall unsichtbare Folgen. Die Auswirkungen für die Betroffenen sind nicht weniger tragisch – und die ambulante therapeutische Versorgung weist große Lücken auf.

„Ich spüre was, was du nicht siehst“
Ein hinkender Gang, eine gelähmte Hand – solche Merkmale verbinden viele Menschen mit einem Schlaganfall. Doch kaum bekannt ist, dass rund 80 Prozent der Patienten an den unsichtbaren Folgen dieser Krankheit leiden. Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe stellt den bundesweiten „Tag gegen den Schlaganfall“ am 10. Mai deshalb unter das Motto „Ich spüre was, was du nicht siehst …“

Patienten-Geschichten wie diese kennt man in jeder neurologischen Rehabilitationsklinik: Ein jüngerer Mensch erleidet einen Schlaganfall, übersteht ihn äußerlich nahezu unbeschadet und kehrt zurück an seinen Arbeitsplatz. Doch wenige Wochen später bricht er zusammen und muss in die Reha. Viele Patienten merken erst im Alltag, dass sie den Anforderungen ihres bisherigen Lebens nicht mehr gewachsen sind.

Das Gehirn braucht viele Pausen
„Das Gehirn braucht in den ersten 18 bis 36 Monaten nach dem Schlaganfall extrem viele Erholungspausen“, sagt Dr. Caroline Kuhn, Leiterin der Neuropsychologischen Lehr- und Forschungsambulanz der Universität des Saarlandes. Die Neuropsychologin ist Autorin eines Ratgebers für Patienten und Angehörige und berät die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe.

Zu den häufigsten neuropsychologischen Funktionsstörungen nach Schlaganfall zählen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefizite, oft einhergehend mit Gedächtnislücken und Planungsstörungen. Nicht selten sind Patienten schon mit der Organisation ihres Einkaufs überfordert. Ebenfalls häufig kommt es zu Sprach- oder Sehstörungen. Hinzu kommen oft emotionale Veränderungen, die vor allem die Beziehung zu Partnern und Angehörigen belasten.

Ambulante Versorgung Mangelware
Betroffene sollten sich unbedingt professionelle Hilfe holen. Außerhalb von neurologischen Rehabilitationskliniken sind niedergelassene Neuropsychologen hier die erste Adresse. Allerdings ist die ambulante Versorgungssituation schlecht, Patienten müssen oft monatelang auf einen Termin warten. Es gibt schlicht viel zu wenige Therapeuten.

Dr. Thomas Guthke, 1. Vorsitzender der Gesellschaft für Neuropsychologie, spricht von einem „extremen Defizit im Angebot neuropsychologischer Leistungen, das insbesondere im ambulanten Bereich sehr deutlich wird.“ Die Fachgesellschaft hat überschlagen, dass es in Deutschland Bedarf für mindestens 1.000 ambulante Neuropsychologen gibt. Aktuell gibt es rund 200.

Kompensation durch Ergotherapie
Das hat zwei wesentliche Gründe: Neuropsychologen haben eine spezielle, umfangreiche Weiterbildung, die sie seit einigen Jahren auch berechtigt, ambulante Behandlungen mit den Kassen abzurechnen. Die Ausbildung ist jedoch sehr langwierig, was viele Interessenten abschreckt. Und die Zulassungsverfahren sind in manchen Regionen sehr langwierig.

Vermutlich wird es noch Jahre dauern, bis sich die Situation entspannt.
Dr. Caroline Kuhn empfiehlt Patienten, die keinen Termin bekommen, sich zunächst an einen Ergotherapeuten zu wenden. „Dabei sollte man bei der Auswahl der Praxis darauf achten, dass die Therapeuten auf neurologische Erkrankungen spezialisiert sind“, so die Neuropsychologin.

Überforderung vermeiden
Familie, Freunde und Arbeitskollegen sollten insbesondere in der ersten Zeit nach dem Schlaganfall besonders einfühlsam mit den Betroffenen umgehen. Patienten rät Caroline Kuhn, „offen zu kommunizieren, dass meine Belastungsgrenzen reduziert sind. Dann kann auch mein Umfeld besser damit umgehen. Das ist kein Grund, sich zu schämen“.

Gut zu wissen:
Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe stellt in ihrem Internet-Portal umfangreiche Informationen zum Umgang mit neuropsychologischen Funktionsstörungen bereit: www.schlaganfall-hilfe.de.