Neue Studie: Nikotinbeutel und E-Zigaretten unterlaufen in Deutschland gesetzliche Bestimmungen

Jugendschutz häufig unwirksam
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Immer mehr Kinder und Jugendliche greifen zu neuen Nikotinprodukten. Neben E-Zigaretten ist vor allem der Konsum von in Deutschland verbotenen Nikotinbeuteln besorgniserregend.

Jüngste Zahlen zeigen, dass bereits jeder siebte Schüler und jede zehnte Schülerin im Alter von 16 und 17 Jahren schon einmal Nikotinbeutel konsumiert hat. 

Der Konsum dieser Produkte ist keineswegs unbedenklich. Für Nikotinbeutel – tabakfreie, aber nikotinsalzhaltige Produkte zum oralen Konsum – sind vielfältige gesundheitliche Risiken belegt, vor allem im Hinblick auf das Herz-Kreislaufsystem und die Mundgesundheit. 

Unabhängige Tests zeigen jetzt erstmals, wie einfach trotz Verkaufsverbotes die Produkte in Deutschland zu beziehen sind – und dabei der Jugendschutz sowie gesetzliche Bestimmungen unterlaufen werden. 

„Es wird systematisch eine neue Generation von Abhängigen herangezogen und die Behörden scheinen an dieser Stelle keine Kontrolle mehr über den Jugendschutz zu haben“, warnt Professor Christian Taube, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). „Hier sehen wir auch die Gesundheitspolitik in der Pflicht! Was nützen die Gesetze, wenn deren Einhaltung nicht durchgesetzt wird?“

Sieben Forscherinnen und Forscher haben auf deutschsprachigen Websites stichprobenartig Nikotinbeutel bestellt, die eigentlich in Deutschland nicht verkauft werden dürften. 

Jeder Bestellvorgang war erfolgreich, in keinem Fall der 16 unterschiedlichen Bestellungen gab es eine Alterskontrolle – weder bei der Online-Bestellung, noch bei der Auslieferung.

„Hier zeigt sich, wie leicht Kinder und Jugendliche durch einen unkontrollierten Internethandel an die verbotenen und gesundheitsschädlichen Produkte gelangen“, sagt Studienleiter Professor Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord). 

Dabei kommen die kleinen Nikotinbeutel harmlos wirkend daher: Sie werden einfach zwischen Lippe und Zahnfleisch eingeklemmt und geben dann beständig ihren Wirkstoff ab. 

Doch die Forschergruppe warnt: „Es besteht gerade bei Jugendlichen eine starke Suchtgefahr. Nikotin erhöht Puls, Blutdruck und belastet Herz sowie Gefäße – es kann auch zu Mundtrockenheit, Reizungen, Entzündungen und Zahnproblemen kommen“, sagt Hanewinkel.

Uneinheitliches Handeln der Behörden – Langwieriges Vorgehen bei Verstößen

Die Forschenden haben den unerlaubten Internet-Verkauf der Nikotinbeutel bei den zuständigen städtischen Behörden für die Lebensmittelaufsicht zur Anzeige gebracht. 

„Im Rahmen der Anzeigen zeigte sich ein recht diverses Vorgehen der einzelnen Behörden. Die Reaktionen reichten von unmittelbaren Untersuchungen der Musterproben, Verkaufsverboten bis hin zu Vertröstungen“, schildert Hanewinkel das Vorgehen.

Immerhin: Alle Verwaltungsämter haben reagierten, baten beispielsweise um die Zusendung der bestellten Ware oder holten sie beim Bestellenden selbst ab und sagten ein behördliches Vorgehen gegen diese Verstöße zu. 

Und dennoch: Auch ein halbes Jahr nach Eingang der Anzeigen gab es von der Hälfte der Behörden noch keine Rückmeldung zum Stand der Ermittlungen.

Graubereich: Experten befürchten flächendeckend illegalen Nikotinbeutel-Verkauf

Die Forschenden befürchten einen flächendeckenden Graubereich beim illegalen Verkauf von Nikotinbeuteln. Im Rahmen der Untersuchungen hat eine Forscherin durch Zufall einen Verkaufsautomaten unweit einer Schule in Heidelberg entdeckt. Dieser hat neben Süßigkeiten, Softdrinks und E-Zigaretten illegal auch Nikotinbeutel enthalten. 

Die zur Probe gezogenen Nikotinbeutel wiesen einen extrem hohen Nikotingehalt von 50 Milligramm auf – dies übertrifft den Nikotingehalt vieler anderer Nikotinprodukte deutlich. 

Zum Vergleich: Gewöhnliche Tabakzigaretten enthalten pro Stück acht bis 20 Milligramm Nikotin. 

Behörden haben den Automaten zunächst versiegelt – später wurden die Nikotinbeutel durch E-Zigaretten ersetzet. 

DGP-Experte und Studien-Mitautor Professor Wulf Pankow warnt: „Bei zu hoher Dosierung oder versehentlichem Verschlucken – insbesondere bei Kindern – kann es zu akuten Vergiftungssymptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Ohnmacht kommen.“ 

Auch die psychischen Auswirkungen seien nicht zu unterschätzen: Nikotin kann Unruhe, Nervosität, Konzentrationsprobleme und bei Jugendlichen dauerhafte Entwicklungsbeeinträchtigungen verursachen.

Jeder siebte Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren greift zur E-Zigarette

Neben den Nikotinbeuteln haben die Forschenden auch den Bezug von E-Zigaretten untersucht. Bei den Stichproben wurde die Alterskontrolle in fast allen Fällen eingehalten. 

„Aber auch hier erkennen wir Ausnahmen, die auf einen weiteren unklaren Graubereich schließen lassen“, erklärt Hanewinkel. 

Die Forscherinnen und Forscher sind aber besonders alarmiert: Mittlerweile sind E-Zigaretten noch vor der Tabakzigarette das beliebteste nikotinhaltige Produkt unter Heranwachsenden. 

Dieser Trend zur E-Zigarette wurde durch die Einführung der im Jugendalter besonders populären Einweg-E-Zigaretten noch verstärkt. Im Jahr 2024 konsumierte laut einer Studie des IFT-Nord jeder siebte Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren E-Zigaretten.

Hier geht es zur neuen empirischen Studie „Neue Nikotinprodukte unterlaufen gesetzliche Bestimmungen und den Jugendschutz“

https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/a-2687-0942.pdf?cooperation=033207199170100092019027036178226086109232131082

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) 
hat sich als wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft darauf spezialisiert, die Prävention, Diagnostik sowie Therapie von Atemwegs- und Lungenerkrankungen zu verbessern.

Lange stand dabei die Tuberkulose im Vordergrund, seit den 1960er-Jahren haben Volkskrankheiten wie Asthma, die dauerhaft atemwegsverengende Lungenerkrankung COPD, Lungenentzündung und Lungenkrebs die Pneumologie zu einem der großen Schwerpunktfächer der Inneren Medizin gemacht. 

Wichtige aktuelle Themen sind die Entwöhnung vom Rauchen, die Auswirkungen von Luftschadstoffen auf die Atemluft, die internistische  Intensivmedizin und Beatmungsentwöhnung, Infektiologie sowie das Lungenkrebsscreening. Die DGP wurde 1910 gegründet und hat heute rund 5.000 Mitglieder aus Medizin und Forschung.

Weitere Informationen gibt es unter: www.pneumologie.de