Wenn Bakterien sich erinnern
Neue Erkenntnisse zur Infektionsstrategie von Pseudomonas aeruginosa
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) hat jetzt bei dem Krankheitserreger Pseudomonas aeruginosa eine neue Strategie entdeckt, wie sich das Bakterium an verschiedene Umgebungen im menschlichen Körper anpasst. Im Journal Proceeding of the National Academy of Sciences (PNAS) zeigen die Forschenden, dass epigenetische Prozesse zur Ausbildung unterschiedlicher Subpopulationen innerhalb genetisch identischer Bakterienpopulationen führen. Dies könnte ein möglicher Schlüsselfaktor für Bakterien sein, um Infektionen erfolgreicher zu etablieren.
Pseudomonas aeruginosa ist ein Überlebenskünstler. Der Keim kommt in Böden und Gewässern vor – und fühlt sich auch im menschlichen Körper wohl, besonders dann, wenn das Immunsystem geschwächt ist. In Krankenhäusern zählt P. aeruginosa zu den gefürchtetsten Erregern: Er kann Wunden infizieren, die Lunge chronisch besiedeln und ist oft resistent gegen mehrere Antibiotika. Weltweit bereitet seine wachsende Widerstandsfähigkeit gegen Medikamente zunehmend Sorge.
Ein Forschungsteam am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) hat nun einen bisher unbekannten Trick dieses Bakteriums entschlüsselt: P. aeruginosa kann sich innerhalb einer Population mit identischen Klonen funktionell unterschiedlich aufstellen – als wäre es nicht nur ein Keim, sondern viele verschiedene auf einmal. Diese Diversifizierung wird durch einen Mechanismus eines „epigenetischen Gedächtnisses“ ermöglicht, der die Aktivität bestimmter Gene über Generationen hinweg aufrechterhält.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass P. aeruginosa gezielt auf Vielfalt setzt – und sich so an wechselnde Bedingungen im menschlichen Körper anpassen kann“, erklärt Professorin Susanne Häußler, Leiterin der Studie und der Abteilung „Molekulare Bakteriologie“ am HZI und am TWINCORE – Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung, einer gemeinsamen Einrichtung des HZI und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Ein Gen, viele Rollen
Um herauszufinden, welche der fast 6000 Gene von P. aeruginosa für Variabilität anfällig sind, analysierten die Forscher zahlreiche Genexpressionsprofile von Bakterien, die unter exakt gleichen Bedingungen gezüchtet wurden. Dabei zeigte sich, dass das Gen glpD, das ein Enzym für den Glycerolstoffwechsel kodiert, zu den Genen mit der größten Variabilität in seiner Expression gehört. Dies ist überraschend, da in einer reinen Bakterienkultur jedes Bakterium eine exakte Kopie des anderen sein sollte.
Mithilfe der Gentechnik konnten die Forschenden ein ON/OFF-Verhalten dieses Gens in einzelnen Bakterien der Population nachweisen: Einige wenige Zellen exprimieren dieses Gen in sehr hoher Konzentration, während die meisten dies nicht tun. Die Forschenden fanden heraus, dass diese Unterschiede durch epigenetische Schaltmechanismen entstehen – und eine Form der Erinnerung erzeugen, die über mehrere Generationen hinweg vererbt wird.
Strategische Arbeitsteilung
Die Variabilität der glpD-Expression in der gesamten Population ist dabei entscheidend für klinisch relevantes Verhalten. Bakterien mit aktiver glpD-Expression weisen beispielsweise eine erhöhte Toxinproduktion und Beweglichkeit auf, aber auch die individuelle Fähigkeit des Pathogens, mit Immunzellen zu interagieren oder diese abzutöten ist stärker ausgeprägt. Bakterien mit reduzierter glpD-Expression hingegen verhielten sich zurückhaltender. Diese Mischung könnte es dem Erreger ermöglichen, gleichzeitig anzugreifen und sich vor dem Immunsystem zu verstecken – ein potenziell entscheidender Vorteil beim Infektionsstart. Somit wird das Überleben für einen Teil der Population selbst im Falle einer plötzlichen Abwehr sichergestellt.
„Diese Vielfalt innerhalb einer klonalen Population ist keine Schwäche, sondern eine kluge Überlebensstrategie“, sagt Dr. Nicolas Oswaldo Trinler, Wissenschaftler in Häußlers Abteilung. „Sie erlaubt es dem Erreger, Individuen mit speziellen Aufgaben in der Population zu generieren, die zu einer erfolgreichen Infektion und dem bakteriellen Überleben im Wirt führen.“
Gedächtnis mit Folgen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kombinierten modernste Einzelzellanalysen, Live-Mikroskopie und mathematische Modellierung. Ihre Ergebnisse zeigen: Diese innerbakterielle Vielfalt kann sich schon aus kleinsten Zahlen an Bakterien entwickeln – etwa dann, wenn wenige Erreger durch eine Wunde gelangen oder eingeatmet werden.
Die Studie gibt neue Einblicke, warum Infektionen mit P. aeruginosa langfristig so schwer zu behandeln sind. Klassische Antibiotika und das Immunsystem sind möglicherweise nicht in der Lage, alle funktionellen Subtypen innerhalb einer Population zu treffen. Dies könnte neue Ansatzpunkte für therapeutische Entwicklungen bieten. Künftig könnten epigenetische Mechanismen, wie der hier entdeckte, gezielt Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Medikamente bieten, die spezifisch darauf zugeschnitten sind, die Anpassungsfähigkeit des Erregers an das Leben im Patienten zu begrenzen.
Quelle:
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) - Mitteilung vom 2. Juli 2025
Förderung der Studie durch:
Europäischer Forschungsrat (ERC), Novo Nordisk Foundation (NNF 18OC0033946), Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Land Niedersachsen.
Originalpublikation:
Elisabeth Vatareck*, Tim Rick*, Nicolas Oswaldo Gomez⁕, Arnab Bandyopadhyay*, Janina Kramer, Dmytro Strunin, Jelena Erdmann, Oliver Hartmann, Kathrin Alpers, Christian Boedeker, Anika Steffen, Christian Sieben, Gang Zhao, Jürgen Tomasch, Susanne Häussler. Epigenetic cellular memory in Pseudomonas aeruginosa generates phenotypic variation in response to host environments. Proceedings of the National Academy of Sciences, 2025. DOI: 10.1073/pnas.2415345122
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Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen.
Weitere Informationen erhalten Sie unter www.helmholtz-hzi.de