Lymphödem: Vier nicht medikamentöse Verfahren könnten zur Linderung beitragen

Finaler HTA-Bericht findet keine klare Überlegenheit für eine spezifische Therapie bei fortgeschrittenem Lymphödem.

Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg die Frage untersucht, ob sich durch nicht medikamentöse Verfahren die Symptome eines fortgeschrittenen Lymphödems lindern lassen.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es für vier Maßnahmen Anhaltspunkte für einen Nutzen im Hinblick auf einzelne patientenrelevante Endpunkte gibt, und zwar für

  • die Kompressionstherapie (Kompressionsbandagen oder -armstrümpfe
    üben einen leichten Druck auf den Arm aus und erleichtern so den Abtransport der Lymphflüssigkeit aus den Lymphgefäßen),

  • Heimprogramme
    Betroffene führen nach professioneller Unterweisung zu Hause eigenständig bestimmte Bewegungs- und Atemübungen durch oder wenden Selbstmassagetechniken an,

  • Operationen zum Lymphknotentransfer
    mehrere Lymphknoten mit eigenem Blutgefäßsystem werden aus einer gesunden Körperregion entnommen und mit den Blutgefäßen in der erkrankten Lymphödem-Region verbunden sowie

  • die intermittierende pneumatische Kompression
    mit einer an eine Pumpe angeschlossenen Manschette wird wechselnder Druck zum Beispiel auf einen Arm aufgebaut, um angestaute Flüssigkeit aus dem Arm zu drücken.

Die jetzt vorgelegte finale Fassung der Gesundheitstechnologie-Bewertung (Health Technology Assessment = HTA) „Fortgeschrittenes Lymphödem: Lassen sich durch nicht medikamentöse Verfahren die Symptome lindern?“ wurde im Rahmen des IQWiG-Verfahrens ThemenCheck Medizin erstellt. Die Fragestellungen dieser HTA-Berichte gehen stets auf Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern zurück.

Anfrage einer Bürgerin war Ausgangspunkt des Berichts

Lymphödeme können entstehen, wenn Lymphgefäße oder Lymphknoten geschädigt sind und sich dadurch Lymphflüssigkeit im Gewebe ansammelt. Häufige Ursache ist zum Beispiel die Entfernung von Lymphknoten im Rahmen einer Krebsbehandlung, etwa bei Brustkrebs.

Bei einem Lymphödem schwillt zuerst das betroffene Körperteil an und es kann zu Schmerzen und zu einer Einschränkung der Beweglichkeit kommen. Bleibt die Schwellung über längere Zeit bestehen, kann dies dazu führen, dass die Flüssigkeit sehr tief in das Bindegewebe eindringt.

Daraus kann eine Fibrose entstehen: eine Verdichtung und Verhärtung des Gewebes, die sehr schwer zu behandeln ist.

Ein fortgeschrittenes Lymphödem geht für die Betroffenen oft mit einer erheblich eingeschränkten Lebensqualität einher, zumal häufig eine jahrelange oder sogar lebenslange Behandlung des Lymphödems nötig ist, um die Beschwerden zu lindern und Komplikationen vorzubeugen.

Vor diesem Hintergrund war der Ausgangspunkt des jetzt vorliegenden HTA-Berichts die beim ThemenCheck Medizin des IQWiG gestellte Frage einer Bürgerin, ob sich die Symptome eines fortgeschrittenen Lymphödems durch nicht medikamentöse Verfahren lindern lassen.

Die vom IQWiG mit der Bewertung beauftragte Freiburger Expertengruppe untersuchte den Nutzen und Schaden sowie die Wirtschaftlichkeit nicht medikamentöser Behandlungen von fortgeschrittenen Lymphödemen (ab Stadium II) – unabhängig von ihrer Ursache. Zusätzlich berücksichtigte sie ethische, soziale, rechtliche und organisatorische Fragen.

Dabei gilt die komplexe physikalische Entstauungstherapie aktuell als die Standardtherapie zur Behandlung von Lymphödemen. Sie besteht aus fünf verschiedenen Komponenten: der manuellen Lymphdrainage, der Kompressionstherapie, entstauungsförderndem Sport oder Bewegungstherapie, Hautpflege und Aufklärung beziehungsweise Schulungen zur Selbsttherapie.

Beispiele für weitere nicht medikamentöse Verfahren zur Behandlung von Lymphödemen sind die Kompressionsbehandlung, Heimprogramme, der vaskularisierte Lymphknotentransfer und auch andere Operationen.

Keine klare Überlegenheit für eine Therapie, aber Anhaltspunkte für einen Nutzen für vier Verfahren

Die Freiburger Autorengruppe konnte 23 Studien identifizieren, in denen ein breites Spektrum an nicht medikamentösen Verfahren bei fortgeschrittenem Lymphödem untersucht wurde. Die meisten Studien (20 von 23) untersuchten Frauen mit Brustkrebs.

Die Studien verglichen in der Regel Kombinationen von verschiedenen Interventionen wie manuelle Lymphdrainage, Kompressionsbandagierung oder Sport miteinander. Die Expertinnen und Experten identifizierten allerdings keine Studie, die die komplexe physikalische Entstauungstherapie in ihrer Gesamtheit untersuchte.

Zu operativen Verfahren fanden sie lediglich eine Studie, in der die Betroffenen in der Interventionsgruppe einem vaskularisierten Lymphknotentransfer unterzogen wurden.

Letztlich zeigte die Auswertung der Studien keine klare Überlegenheit für eine oder mehrere bestimmte Therapien.

Anhaltspunkte für einen Nutzen im Hinblick auf einzelne patientenrelevante Endpunkte konnte die Freiburger Forschergruppe aber für die Kompressionsbehandlung, Heimprogramme, den vaskularisierten Lymphknotentransfer sowie die intermittierende pneumatische Kompression ableiten.

Eine vollständige Nutzen-Schaden-Abwägung war dabei in der Regel allerdings nicht möglich, da die wenigsten Studien unerwünschte Ereignisse erhoben.

Auch ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse limitiert, weil die für den Bericht als relevant identifizierten Studien nahezu ausschließlich Betroffene mit Arm-Lymphödem nach Brustkrebstherapie untersuchten.

Der ThemenCheck Medizin

Interessierte Einzelpersonen können im Rahmen des ThemenCheck Medizin Vorschläge für die Bewertung von medizinischen Verfahren und Technologien einreichen. In einem zweistufigen Auswahlverfahren, an dem auch Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind, werden aus allen eingereichten Vorschlägen jedes Jahr bis zu fünf neue Themen ausgewählt. Laut gesetzlichem Auftrag sollen dies Themen sein, die für die Versorgung von Patientinnen und Patienten von besonderer Bedeutung sind.

Die HTA-Berichte im Rahmen des ThemenCheck Medizin werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung (HTA kompakt) und einem IQWiG-Herausgeberkommentar veröffentlicht.

Quelle:
Mitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 10. Mai 2022    

Originalpublikation:
https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_69