Neue Strategie gegen Sehverlust bei Makuladegeneration

Forschende haben einen Ansatz entwickelt, der künftig das Sehvermögen von Patientinnen und Patienten mit Makuladegeneration verbessern könnte.

Mittels einer Gentherapie haben sie blinde Retinas von Mäusen und Organspendern für Nahinfrarotlicht sensibilisiert. Das Team am Institut für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB) stellt seine Ergebnisse im Fachblatt «Science» vor.

Von Makuladegeneration sind weltweit fast 200 Millionen Menschen betroffen. Die Makula ist eine kleine lichtempfindliche Struktur am Augenhintergrund. Degeneriert sie, behalten Betroffene zwar ihr peripheres Sehvermögen, verlieren aber mit der Zeit das Zentrum ihres Blickfelds.

Eine Behandlung kann das Fortschreiten verzögern, bisher ist es jedoch nicht möglich, die verlorene Lichtempfindlichkeit wiederherzustellen.

«Die Lichtempfindlichkeit wiederherzustellen kann letztlich die Lebensqualität der Betroffenen und ihre Möglichkeiten zur Teilnahme am Alltag verbessern», sagt Prof. Dr. Botond Roska, Professor für Vision Research an der Universität Basel und Direktor am IOB.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Forschenden um Roska Retinazellen von Mäusen und Organspendern mithilfe einer Gentherapie für Nahinfrarotlicht sensibilisiert.

Von der Natur inspiriert

Obwohl Infrarotlicht für das blosse menschliche Auge unsichtbar ist, können Menschen es als Wärme wahrnehmen.

Längere Infrarot-Wellenlängen können Lebensmittel kochen, aber Nahinfrarotlicht ist näher am sichtbaren Spektrum des menschlichen Auges und im Vergleich kühler.

Im Tierreich gibt es jedoch durchaus Sehvermögen im Infrarotbereich: Schlangen verwenden wärmeempfindliche Proteine, sogenannte Transient Receptor Potential (TRP) Ionenkanäle, um die von ihren Beutetieren ausgesandte Infrarotstrahlung wahrzunehmen.

Von diesem Beispiel aus der Natur inspiriert, entwickelten die Forschenden eine Gentherapie, um blinde Netzhautzellen mit einem Infrarotsensor auszustatten.

Das System besteht aus drei Komponenten

Einem DNA-Abschnitt, der für einen TRP-Ionenkanal kodiert, einem Goldnanopartikel, der Nahinfrarotlicht absorbiert, und einem Antikörper, der den Nanopartikel und den Ionenkanal miteinander verbindet. Die Forschenden verwendeten eine virale Genfähre und Mikroinjektion, um die Komponenten in die Netzhautzellen einzuschleusen.

Die Gold-Nanopartikel absorbieren Nahinfrarotlicht und geben dann eine geringe Menge an Wärme ab. Als Reaktion darauf öffnen sich die TRP-Ionenkanäle und lösen Nervenimpulse aus, die jenen beim normalen Sehen gleichen.

Vielversprechende Resultate bei ersten Tests

Die Forschenden testeten ihre Gentherapie anschliessend an zwei Modellsystemen: an Mäusen, die aufgrund einer Genveränderung eine Netzhautdegeneration entwickeln und erblinden, sowie an Netzhäuten, die von menschlichen Organspendern stammen.

Im ersten Fall untersuchten die Forschenden das Verhalten der behandelten Mäuse in einem Lernexperiment, bei dem die Mäuse auf ein Lichtsignal im Nahinfrarotbereich reagieren sollten. Dabei bestätigte sich, dass die Tiere das Nahinfrarotlicht wahrnehmen konnten. Messungen der Nervenimpulse zeigten zudem, dass die Signale bis in die Hirnareale für die Verarbeitung visueller Reize gelangen.

Die weiteren Tests mit Netzhäuten von Organspendern bestätigten die Funktionsfähigkeit des Systems.

Spezieller Ansatz für Makuladegeneration nötig

Die neue Studie baut auf den laufenden Bemühungen der Forschenden auf, völlige Erblindung mit einer sogenannten optogenetischen Therapie zu behandeln. Bei diesem Ansatz werden lichtempfindliche Proteine durch virale Genfähren in die Netzhautzellen eingeschleust.

Dieses Therapiekonzept befindet sich derzeit in klinischen Studien, ist jedoch für die Makuladegeneration ungeeignet.

Das Verfahren stützt sich auf eine Brille, die helles sichtbares Licht auf die Netzhaut projiziert. Die Lichtprojektion würde jedoch jene Patienten überfordern, die lediglich ihr zentrales Sehvermögen verloren haben.

Bei einer Makuladegeneration sei daher Licht einer anderen Wellenlänge nötig, das funktionierende Zellen in der Netzhaut nicht sehen können, erklärt Dr. Dasha Nelidova, Postdoc im Labor von Botond Roska und Erstautorin der Arbeit.

Die Forschenden hoffen, mit ihrem Ansatz eines Tages die Makula bei Patienten, die noch peripheres Sehen haben, wieder für Licht sensibilisieren können.

Quelle:
Mitteilung der Universität Basel vom 5. Juni 2020

Originalbeitrag
Dasha Nelidova, Rei K. Morikawa, Cameron S. Cowan, Zoltan Raics, David Goldblum, Hendrik Scholl, Tamas Szikra, Arnold Szabo, Daniel Hillier, Botond Roska
Restoring light sensitivity using tunable near-infrared sensors
Science (2020), doi: 10.1126/science.aaz5887