Die sechs wichtigsten Urteile für übergangene Erben

So klappt es mit dem Pflichtteil

Die nächsten Angehörigen trifft meist der Schlag, wenn sie erfahren, dass die Eltern sie im Testament vom Erbe ausgeschlossen haben

Doch so ganz leer gehen sie nicht aus.

Das Gesetz sieht für übergangene Erben wie Kinder oder Ehepartner eine Art Abfindung vor – den Pflichtteil. Und den müssen die Erben selbst dann auszahlen, wenn im Testament das Gegenteil drinsteht – meistens jedenfalls.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland auf 13,8 Billionen Euro mehr als verdoppelt. Davon könnten nach Schätzungen des DIW Berlin jedes Jahr bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt werden.

Die durchschnittliche Höhe dieser Erbschaften beläuft sich dabei real auf etwas mehr als 85.000 Euro pro Person.

„Wie viele Personen von den rund 980.000 Erbschaften jährlich ausgeschlossen werden, ist statistisch nicht erfasst. Auch dürfte es eine hohe Dunkelziffer derjenigen Pflichtteilsberechtigten geben, die gar nicht wissen, dass es den Pflichtteil gibt und sie Anspruch darauf haben“, schätzt Dr. Sven Gelbke. Dazu kämen auch Personen, die sich aus Scham oder wegen fehlendem Selbstbewusstsein nicht trauen, den überlebenden Elternteil oder ihre Geschwister auf den ihnen zustehenden Pflichtteil anzusprechen und diesen im Zweifel auch gerichtlich durchzufechten.

Als Geschäftsführer des Internetportals ´Die Erbschützer´ muss er es wissen. Das Unternehmen hilft übergangenen Erben, ihren Pflichtteil gegen die Verwandten durchzusetzen. Im Unterschied zu Anwälten verlangen die Erbschützer nur im Erfolgsfall ein Honorar in Höhe von 14 Prozent von dem erzielten Pflichtteilsbetrag.  Doch viele Pflichtteilsberechtigte wissen gar nicht, welche Rechte ihnen zustehen. Deshalb haben ´Die Erbschützer´ sechs der wichtigsten Urteile für übergangene Erben zusammengestellt.

Nr. 1 | Übergangene Erben dürfen Testament einsehen

So hat ein gesetzlicher Erbe das Recht, Einsicht in das Testament zu nehmen. Das gilt selbst dann, wenn er anderen Erben gegenüber benachteiligt oder sogar enterbt wurde, entschied der Bundesgerichtshof. Geklagt hatte der Sohn eines 2016 gestorbenen Mannes.

Der Vater hatte knapp vier Jahre vor seinem Tod mit seiner zweiten Ehefrau ein Testament aufgesetzt. Danach sollten nur die Kinder aus zweiter Ehe erben. Der Kläger, ein Sohn aus erster Ehe, erfuhr davon erst bei der Testamentseröffnung. Er wollte beim Notar die beglaubigte Abschrift des Testaments einsehen, die sich dort noch in den Akten befand.

Es gebe Anzeichen dafür, dass Seiten des Originals ausgetauscht worden seien. Der Notar wies das Ansinnen ebenso zurück wie die Notaraufsicht.   Die Manipulationsvorwürfe entbehrten „jeder nachvollziehbaren vernünftigen Grundlage“. Das Kölner Oberlandesgericht hatte diese Entscheidung sogar bestätigt.

Anders der BGH: Laut der höchsten deutschen Zivilrichter spielt nämlich der Grund für den Wunsch nach Testamentseinsicht keine Rolle.  Die zuständige Aufsichtsbehörde muss demnach den Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden, wenn der enterbte Hinterbliebene das beantragt.

Quelle:
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.07.2020, Az.: NotZ (Brfg) 1/19

Nr. 2 | Pflichtteilsberechtigter kann Gutachterkosten zur Schätzung eines Nachlassgrundstücks ersetzt verlangen

Wer als nächster Angehöriger von der Erbschaft ausgeschlossen wurde, kann zumindest seinen Pflichtteil einfordern. Hierfür ist oftmals eine Bewertung von Nachlassgegenständen, vor allem von Immobilien erforderlich. Hält der Erbe an einem aus Sicht der Pflichtteilsberechtigten zu niedrigen Wert für eine Nachlassimmobilie fest, so kann der Pflichtteilsberechtigte ein Sachverständigengutachten zum Nachweis eines höheren Wertes in Auftrag geben und die Kosten des Gutachtens vom Erben ersetzt verlangen.

Das Landgericht Arnsberg hat einem Pflichtteilsberechtigten 357 Euro Gutachterkosten zugesprochen. Einschränkend stellte das Gericht klar, dass der Erbe die Gutachterkosten dann übernehmen muss, wenn er trotz ersichtlich entgegenstehender Anhaltspunkte an dem niedrigeren Wert festhält.

Quelle:
Landgericht Arnsberg, Urteil vom 17.9.2021, Az.: 1 O 261/19

Nr. 3 | Fehlerhafte Änderung eines Testaments: Übergangener Erbe muss sich nicht auf den Pflichtteil reduzieren lassen  

Ein Sohn sollte auf den Pflichtteil herabgestuft werden, der andere Sohn sollte alles erben. Dumm nur, dass die Erblasserin diese Änderung im Testament nicht unterschrieben hatte. Änderungen eines Testaments können grundsätzlich sogar auf der Kopie eines eigenhändig geschriebenen Testaments vorgenommen werden. Voraussetzung ist dabei allerdings, dass auch die Änderungen mit einer Unterschrift des Erblassers versehen sind.

Das hat das Oberlandesgericht entschieden.

Eine Erblasserin hatte das Testament im Original in einem Bankschließfach verwahrt, während sie in ihrer Wohnung Kopien aufbewahrte. Auf einer der Kopien nahm die Erblasserin zwei handschriftliche Ergänzungen bzw. Streichungen vor. Die erste Änderung versah sie mit Datum und Unterschrift, bei der zweiten Änderung hingegen fehlt eine Unterschrift.

Nach dem Tod der Erblasserin berief sich einer der beiden Söhne darauf, entsprechend der beiden vorgenommenen Änderungen Alleinerbe geworden zu sein und beantragte die Erteilung eines Alleinerbscheins. Dem trat der andere Sohn der Erblasserin als Antragsgegner mit der Begründung entgegen, dass die zweite Änderung, mit der er auf den Pflichtteil beschränkt werden sollte, mangels Unterschrift nicht wirksam sei. Das sahen die Kölner Richter genauso.

Quelle:
Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 22.07.2021, Az.: I-2 Wx 131/20

Nr. 4 | Körperverletzung im Affekt reicht nicht für die Entziehung des Pflichtteils

Um einem gesetzlichen Erben den Pflichtteil wirksam entziehen zu können, müssen Erblasser sowohl formal als auch inhaltlich hohe Hürden überwinden. So kann eine körperliche Auseinandersetzung nur dann zum Pflichtteilsentzug führen, wenn es sich um ein schweres Vergehen gegen den Erblasser gehandelt hat.

Das hat das Landgericht Frankenthal im Fall eines 1997 in einem notariellen Erbvertrag enterbten Sohnes entschieden.

Als Begründung hatten die Eltern angegeben, dass der Sohn seine Mutter ein Jahr zuvor mehrfach geschlagen und sie hierbei eine Schädelprellung erlitten habe. Diese Pflichtteilsentziehung wollte der Mann nach dem Tode der Mutter nicht akzeptieren und klagte gegen eine als Erbin eingesetzte soziale Einrichtung.

Nach Ansicht der Kammer war die Entziehung des Pflichtteils im Erbvertrag bereits aus formalen Gründen unwirksam. Um zu verhindern, dass nachträglich weitere Gründe nachgeschoben werden, müsse das maßgebliche Fehlverhalten des Erben bereits im Testament eindeutig geschildert sein. Hier sei aber gerade nicht festgehalten worden, welche Hintergründe zu der Auseinandersetzung geführt und welche Folgen dies gehabt habe.

Da der Streit im Gerichtsverfahren zudem nicht aufgeklärt werden konnte, bleibe es denkbar, dass sich die Körperverletzung bei einem spontanen Streit oder im Affekt zugetragen habe. Dies rechtfertige nicht zwingend eine Pflichtteilsentziehung, denn nur ein schweres Vergehen gegen den Erblasser könne zum Verlust des Pflichtteils führen. Ein solches schweres Vergehen gegen die Mutter hätte der bedachte Verein aber nachweisen müssen.

Zudem ging das Gericht davon aus, dass der angebliche Vorfall aus 1996 nicht der Hauptgrund für die Pflichtteilentziehung gewesen sei. Es sei, so das Gericht, eher davon auszugehen, dass die Eltern mit dem Lebenswandel ihres Sohnes nicht mehr einverstanden gewesen seien. Dies rechtfertige es jedoch nicht, dem Sohn seinen verfassungsrechtlich geschützten Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Erbes zu entziehen.

Quelle:
Landgericht Frankenthal, Urteil vom 11.03.2021, Az.: 8 O 308/20

Nr. 5 | Enkel beklaut Oma – Pflichtteilsentzug rechtens

Der Diebstahl von Bargeld rechtfertigt die Entziehung des Pflichtteils wegen schweren vorsätzlichen Vergehens. Das hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden. Der Enkel hatte seiner Oma 1992 insgesamt 6.100 DM gestohlen und war dafür zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt worden.

Die Großmutter entzog dem Enkel daraufhin mittels eines Erbvertrags den Pflichtteil.

Nachdem die Großmutter im Jahr 2014 verstorben war, beanspruchte der Enkel gleichwohl seinen Pflichtteil.   Nein, sagte das Oberlandesgericht Stuttgart.

Es handele sich bei der Tat um ein schweres vorsätzliches Vergehen.

Das verdeutliche allein schon die dafür verhängte Geldstrafe von 100 Tagessätzen und damit in einer Höhe, die sogar einen Eintrag in ein allgemeines Führungszeugnis zur Folge hatte.

Zudem stelle die Bargeldsumme von 6.100 DM nach den gewöhnlichen Umständen im Jahr 1992 einen jedenfalls nicht unerheblichen Vermögenswert dar. Dies gelte zumindest für die beklaute Oma, die ohne Schul- und Berufsausbildung war und bei der sich die eigenen Erwerbsmöglichkeiten schon von daher in engen Grenzen hielten.

Quelle:
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 24.01.2019, Az.: 19 U 80/18  

Nr. 6 | Erb- und Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung mit Sportwagen sittenwidrig

Die Sittenwidrigkeit eines Erb- und Pflichtteilsverzicht kann sich ergeben, wenn ein solcher an die Erfüllung von Bedingungen geknüpft wird. Die zugrunde liegende Vereinbarung kann dann zu dessen Unwirksamkeit führen mit der Folge, dass kein Ausschluss vom Erbe besteht. Das ist insbesondere der Fall, wenn die getroffenen Vereinbarungen ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten des Verzichtenden ausweisen, entschied das Oberlandesgericht Hamm.

In dem Fall hatte ein Vater seinem gerade 18 Jahre alt gewordenen Sohn einen 100.000 € teuren Sportwagen Nissan GTR X als Abfindung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht versprochen – und das auch nur, wenn er im Alter von 25 Jahren eine Berufsausbildung erfolgreich absolviert hat.

Die Vorgabe der erfolgreich zu absolvierenden Ausbildung schränke den Sohn in zu missbilligender Weise in der Wahl seines beruflichen Werdegangs ein, betonten die Hammer Richter. Eine berufliche Umorientierung lasse die Vereinbarung nicht zu. Verschärft wurde der Druck noch dadurch, dass die Vertragsbedingungen zur Ausbildung nur bei Erreichen der Bestnote bei den Abschlussprüfungen erfüllt sein sollten.

Diese Vertragsgestaltung hielt das Gericht für unverhältnismäßig, weil der Vater den Sohn mit einer zu geringen Abfindung habe abspeisen wollen. Seine Argumentation, er habe seinen Sohn zu einer zügigen und erfolgsorientierten Ausbildung motivieren wollen, hielt das Gericht für vorgeschoben.

Quelle:
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 08.11.2016, Az.: I-10 U 36/15

Quelle:
Erbschützer.de