Radfahrerin fährt gegen die Fahrtrichtung und hat trotzdem Vorfahrt

Richter geben "Geisterfahrerin" auf dem Rad zu 50% Recht

Wer als Fahrradfahrer auf dem Radweg entgegen der Fahrtrichtung fährt und einen Unfall erleidet, weil ihm die "Vorfahrt" genommen wurde, kann dennoch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hoffen. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm in einem aktuellen Urteil entschieden und damit den Verschuldensanteil einer Radfahrerin um 50% gemindert, obwohl sie zur Zeit des Unfalls als "Geisterfahrerin" unterwegs war.

Recht auf Vorfahrt überwiegt - auch bei Fahrt gegen die Fahrtrichtung
Im entschiedenen Fall befuhr eine 59jährige Frau den Radweg einer bevorrechtigten Straße entgegen der vorgegebenen Fahrtrichtung.

An der Ausfahrt zu einer verkehrsberuhigten Straße stieß sie mit einem 14-jährigen Jungen zusammen, der - in ihre Richtung einbiegend - mit seinem Fahrrad in ordnungsgemäßer Richtung den Radweg befahren wollte.

Dabei zog sich die Frau einen Schien- und Wadenbeinbruch zu und musste stationär mit anschließender Reha behandelt werden.

Anschließend forderte sie Schmerzensgeld in Höhe von 13.000 Euro von dem Jungen und wollte obendrein ihren weiteren Sachschaden ersetzt haben.

Gericht gibt Geisterfahrerin 50% Mitschuld
Nun könnte man meinen, dass diese Forderung der Frau unberechtigt wäre, da sie den Radweg ja - wie eine Einbahnstraße - entgegen der Fahrtrichtung und damit ordnungswidrig befahren hatte.

Wäre sie auf der "richtigen" Seite gefahren, so wäre es schließlich gar nicht zu dem Unfall gekommen.

Dieser Argumentation folgte das Gericht allerdings nur teilweise: Der Unfallgegner hätte - nach Ansicht der Richter - beim Einbiegen auf dem Radweg auf die Vorfahrt achten müssen, insbesondere, da er von einer verkehrsberuhigten Straße auf eine bevorrechtigte Straße abbiegen wollte.

Auf Grund der Tatsache, dass er diese Pflicht missachtete, sei die Schuld im entschiedenen Falle zu 50% auf den Schultern beider Unfallbeteiligten zu verteilen - das Recht auf Vorfahrt sei so stark, dass es auch dann besteht, wenn der bevorrechtigte Unfallbeteiligte als Geisterfahrer unterwegs sei.

Argumentation auch auf Kraftfahrzeuge anwendbar?
Die Entscheidung des OLG Hamm ruft bei näherer Betrachtung Befremden hervor.

Insbesondere, wenn man die aufgestellten Grundsätze auf den Autoverkehr überträgt, was eins zu eins möglich wäre: Demnach müsste auch dem Fahrer eines PKW, dem entgegen einer Einbahnstraße die "Vorfahrt" genommen wird, zumindest zu 50% der entstandene materielle und immaterielle Schaden ersetzt werden.

Es bleibt abzuwarten, ob auch andere Gerichte in ähnlichen Konstellationen der Argumentation dieser getroffenen Entscheidung folgen werden und ob das Urteil auf das Führen von Kraftfahrzeugen übertragen werden kann.

Betroffene sollten dies mit der Hilfe ihres Fachanwalts für Verkehrsrecht allerdings unbedingt versuchen.

Frank Brüne,
Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Verkehrsrecht
http://www.gks-rechtsanwaelte.de