Herzgesundheit bei MS: Unterschätztes Thema
Herz-Kreislaufgesundheit sieht man häufig als Thema für ältere Menschen – bei der Multiplen Sklerose (MS) kann es aber auch schon in jungen Jahren wichtig werden, präventiv tätig zu werden.
Herz-Kreislauferkrankungen und MS: keine Einbahnstraße
Eine wichtige Rolle spielen hier unter anderem die chronischen Entzündungsprozesse bei der MS. Entzündliche Läsionen in Gehirn und Rückenmark können zu einer Dysfunktion des autonomen Nervensystems führen. Dies beeinflusst eine Vielfalt von Prozessen wie Blutdruckkontrolle, Herzschlag und Atmung und kann somit Herz-Kreislaufstörungen auslösen.
Aber auch manche krankheitsmodifizierenden Therapien, beispielsweise Mitoxantron, S1P-Rezeptormodulatoren (Fingolimod, Siponimod und Ozanimod), Alemtuzumab sowie Kortikosteroide, können zu kardiovaskulären Komplikationen bei Menschen mit MS beitragen. Medikationen zur Behandlung verschiedener MS-Symptome wie beispielsweise Depression können zusätzlich Herz und Kreislauf beeinträchtigen, teils aufgrund spezifischer Nebenwirkungen, teils aufgrund von Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen.
Allerdings ist dies keine Einbahnstraße: Eine kardiovaskuläre Begleiterkrankung, zeigten neuere Studien, kann auch manche MS-Therapien und deren Sicherheit negativ beeinflussen. Zudem können kardiovaskuläre Probleme das Risiko für neurodegenerative Schäden bei MS steigern. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren sahen in diesem Zusammenhang mehr Verlust an Hirnmasse und Schädigungen der weißen Substanz im Gehirn.1
Genetische Assoziation zwischen MS und Herz-Kreislauferkrankungen
Darüber hinaus besteht auch ein genetischer Zusammenhang zwischen MS und Herz-Kreislauferkrankungen, fand eine Analyse genetischer Varianten in großen Bevölkerungsstudien.
Die Studie fand Hinweise auf eine genetische Veranlagung von Menschen mit MS für ein signifikant erhöhtes Risiko für
- koronare Herzerkrankung (2 % höheres Risiko),
- Herzinfarkt (3 %),
- Herzversagen (2 %) sowie
- Schlaganfälle (2 %).
Das Risiko war demnach zwar nur geringfügig erhöht, jedoch betonen die Autoren, dass die Ergebnisse robust waren und Anlass für Wachsamkeit und Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen bei MS geben sollten.2
Polymedikation problematisch und besonders häufig
Neben der eigentlichen Erkrankung, genetischer Veranlagung und dem Lebensstil spielt auch die medikamentöse Behandlung von weiteren Erkrankungen oder spezifischer MS-Symptome eine Rolle für das Herzrisiko, speziell Wechselwirkungen im Rahmen einer Polymedikation.
Wie häufig eine solche Behandlung mit mindestens 5 Medikamenten über mindestens 30 Tage bei Menschen mit MS vorkommt, untersuchte eine bevölkerungsweite Kohortenstudie in Kanada.
Die Untersuchung umfasste 14 227 Personen mit MS, davon 75 % Frauen, im durchschnittlichen Alter von 55,4 Jahren.
Fast jeder 3. Patient (28 %; n = 3 995) erfüllte die Polypharmazie-Kriterien mit einer durchschnittlichen Dauer der Polypharmazie von 273 Tagen.
Frauen hatten ein um 14 % erhöhtes Risiko für Polypharmazie verglichen zu Männern. Für ältere Personen zwischen 50 und 64 Jahren war, im Vergleich zu Personen unter 50 Jahren, das Risiko verdoppelt (Odds Ratio, OR: 2,04), ab einem Alter von 65 Jahren mehr als verdreifacht (OR: 3,26).
Erwartungsgemäß waren Patienten mit Begleiterkrankungen deutlich eher betroffen als solche ohne Komorbidität (mind. 3 Begleiterkrankungen; OR: 6,03). Antidepressiva stellten 66,2 % der Polypharmazietage und trugen somit den größten Anteil zu einem möglichen Risiko für Wechselwirkungen und Nebenwirkungen bei.3
Frühzeitige und anlassbezogene Screenings und Präventionsmaßnahmen
Ein Review analysierte die aktuelle Forschung zur Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen, die mit der MS assoziiert sind, und ihren Einfluss auf den Verlauf der MS. Demnach werden Erkrankungen wie arterieller Bluthochdruck, metabolisches Syndrom, Schlaganfall und Herzinfarkt meist gut bei Menschen mit MS erkannt und behandelt. Andere häufige Begleiterkrankungen wie venöse Thromboembolien und autonome Dysfunktion könnten jedoch leicht in der Alltagspraxis übersehen werden, fanden die Wissenschaftler.
Die Autoren schlagen daher bereits zum Zeitpunkt der MS-Diagnose ein Screening zu Lebensstil und bestehenden Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes vor. Schon in den ersten Terminen sollten Patienten ermutigt werden, ihren Lebensstil zur Vorbeugung von Herz-Kreislauferkrankungen anzupassen.
In spezifischen Situationen, etwa dem Therapiebeginn mit einer krankheitsmodifizierenden Medikation oder bei aggressiven Erkrankungsformen, sollten ausgedehntere kardiovaskuläre Untersuchungen durchgeführt werden. Kommt es bei Patienten zu unerklärten Stürzen, stärkerer Fatigue oder Anzeichen für eine orthostatische Intoleranz, seien schließlich gezielte Tests zum Erkennen einer autonomen Dysfunktion angebracht.4
Wichtige, komplexe Interaktion zwischen Herz-Kreislauf und MS
Bei MS bestehen somit komplexe Interaktionen zwischen genetischer Veranlagung, traditionellen Risikofaktoren, autonomer Dysfunktion, Inflammation und der MS-Therapie, die zusammen das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen bei MS beeinflussen.
Die Interaktion stellt jedoch keine Einbahnstraße dar: Kardiovaskuläre Störungen beeinflussen auch den Verlauf der MS mit sowohl subklinischen als auch deutlicheren Effekten wie verstärkter Schädigung des Nervengewebes, erhöhtem Risiko für kognitive Beeinträchtigungen, Stürze und Fatigue. Die aktuelle Forschung zeigt demnach, dass Früherkennung und Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen einen hohen Stellenwert bei der MS einnehmen sollten.
Weitere Informationen zur MS finden Sie unter https://www.ms-gateway.de/
Mit freundlicher Unterstützung der Bayer Vital GmbH
Original Titel:
Neurocardiology Update: The Brain-Heart Connection in Multiple Sclerosis-A Narrative Review
© Alle Rechte:
DeutschesGesundheitsPortal / HealthCom
Autor:
Gherghel-Pavăl N, Pavăl D, Stan AD, Orășan OH, Sitar-Tăut AV, Cozma A. Neurocardiology Update: The Brain-Heart Connection in Multiple Sclerosis-A Narrative Review. Health Sci Rep. 2025 Mar 25;8(3):e70607. doi: 10.1002/hsr2.70607. PMID: 40135076; PMCID: PMC11933830.
Referenzen:
Zahoor I, Pan G, Cerghet M, Elbayoumi T, Mao-Draayer Y, Giri S, Palaniyandi SS. Current understanding of cardiovascular autonomic dysfunction in multiple sclerosis. Heliyon. 2024 Aug 3;10(15):e35753. doi: 10.1016/j.heliyon.2024.e35753. PMID: 39170118; PMCID: PMC11337049. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39170118/
Yang F, Hu T, He K, Ying J, Cui H. Multiple Sclerosis and the Risk of Cardiovascular Diseases: A Mendelian Randomization Study. Front Immunol. 2022 Mar 15;13:861885. doi: 10.3389/fimmu.2022.861885. PMID: 35371017; PMCID: PMC8964627. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35371017/
Chertcoff A, Ng HS, Zhu F, Zhao Y, Tremlett H. Polypharmacy and multiple sclerosis: A population-based study. Mult Scler. 2023 Jan;29(1):107-118. doi: 10.1177/13524585221122207. Epub 2022 Oct 27. PMID: 36301629; PMCID: PMC9896267. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36301629/
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