Emotionaler Sturm ohne Pause
Fachärztin klärt über den täglichen Kampf mit Borderline auf
Wer an der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) leidet, lebt in einem ständigen Wechselbad der Gefühle: Nähe kann sich in einem Moment wie Geborgenheit anfühlen und im nächsten Augenblick wie eine unerträgliche Bedrohung.
Innere Leere, quälende Selbstzweifel und die Angst vor dem Verlassenwerden bestimmen oft ihren Alltag. Um die innere Anspannung zu lindern, greifen manche zu selbstverletzendem Verhalten.
Prof. Dr. med. Petra Beschoner, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin und Ärztliche Leiterin der Akutklinik Bad Saulgau, erklärt im Interview, was Betroffene und Angehörige über diese komplexe Persönlichkeitsstörung wissen sollten.
Wo liegt die Grenze zwischen intensiven Emotionen und einer klinischen Borderline-Diagnose?
Prof. Beschoner: „Jeder kennt starke Emotionen wie Wut, Trauer oder Freude. Diese klingen meist nach kurzer Zeit ab und bleiben beherrschbar.
Bei Borderline hingegen schlagen Gefühle häufig blitzartig um, Betroffene verlieren regelrecht die Kontrolle. Dann geraten Beziehungen, Selbstbild und Alltag ins Chaos.
Typisch sind die starke Angst vor dem Verlassenwerden, Selbstverletzungen oder riskantes Verhalten wie beispielsweise Rasen auf der Autobahn oder Balancieren auf Bahngleisen.
Gefühle gleichen einem Orkan, nicht nur einem kurzen Sturm.
Es ist demnach ein deutliches Zeichen für eine Borderline-Erkrankung, wenn Emotionen dauerhaft extrem, unkontrollierbar und lebensbeeinträchtigend sind.“
Inwiefern unterscheiden sich Borderline-Symptome bei Männern und Frauen?
Prof. Beschoner: „Bei Frauen stehen oft emotionale Instabilität, Selbstverletzungen und konfliktreiche Beziehungen im Vordergrund.
Männer zeigen Borderline häufiger nach außen gerichtet: aggressive Impulsdurchbrüche, riskantes Verhalten wie Drogenkonsum oder Raserei und antisoziale Züge.
Sprich: Frauen verletzen tendenziell sich selbst – Männer gefährden meist sich und andere. Wobei das natürlich keine Allgemeingültigkeit hat, sondern statistische Tendenzen sind.“
Wie entsteht BPS?
Prof. Beschoner: „Borderline hat meist nicht nur eine einzige Ursache. Die Persönlichkeitsstörung entsteht eher wie ein Puzzle, bei dem genetische Faktoren, biografische Erfahrungen und Umweltbedingungen zusammen ein Risiko-Bild ergeben.
So verarbeitet das Gehirn bei Betroffenen äußere Reize und Emotionen oft anders, zum Beispiel durch verstärkte Aktivität der Amygdala und Beeinträchtigung des präfrontalen Kortex.
Aufgrund dieses hochempfindlichen Alarmsystems schlagen Gefühle schneller und heftiger aus.
Traumatische Erlebnisse, Missbrauch, Vernachlässigung oder fehlende Bindungen in der Kindheit verstärken das Risiko erheblich. Ebenso können Mobbing, anhaltender Stress oder inkonsistente Erziehung die Entwicklung der Persönlichkeitsstörung begünstigen.“
Wie wirkt sich die Persönlichkeitsstörung auf die Betroffenen aus?
Prof. Beschoner: „Menschen mit BPS sehnen sich meist nach Nähe, fürchten sie aber gleichzeitig. Partner werden idealisiert und im nächsten Moment abgestoßen. Daraus resultieren häufig Schuldgefühle, Einsamkeit und Trennungen.
Gesellschaftlich werden Betroffene oft stigmatisiert und als ‚schwierig‘ oder ‚manipulativ‘ abgestempelt, was Scham und Rückzug verstärkt und es ihnen erschwert, Hilfe zu suchen.
Beruflich betrachtet führen Stimmungsschwankungen und Impulsivität nicht selten zu Jobverlusten, abgebrochenen Ausbildungen oder häufigen Fehlzeiten.
Auch das eigene Selbstbild schwankt stark – zwischen Selbsthass und übersteigerter Selbstsicherheit.
Und letztlich kann das Gefühl, den inneren Schmerz nicht aushalten zu können, durch Suizidgedanken lebensbedrohlich werden.“
Wie können Partner oder Angehörige mit den Stimmungsschwankungen umgehen?
Prof. Beschoner: „Partner und Angehörige sollten versuchen, wie ein Fels in der Brandung zu sein – ruhig, klar und stabil. Emotionale Ausbrüche sollten nicht persönlich genommen und nicht mit gleicher Intensität beantwortet werden. Stattdessen gilt es liebevoll klare Grenzen zu setzen, denn das schafft Sicherheit.
Auch ein verständnisvoller Umgang hilft, sprich die Gefühle der Person mit Borderline sollten anerkannt und nicht kleingeredet werden. Um die eigene Stabilität zu wahren, empfiehlt es sich für Angehörige, Selbsthilfegruppen, Therapieangebote und Auszeiten in Anspruch zu nehmen.“
Wie lässt sich eine BPS behandeln?
Prof. Beschoner: „Am wirksamsten sind Psychotherapien, die gezielt den Umgang mit Gefühlen und Beziehungen trainieren. So hilft Patienten beispielsweise die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) dabei, Emotionen zu regulieren und Krisen ohne Selbstverletzung zu überstehen. Die Schematherapie wiederum bearbeitet tief verankerte Muster und Kindheitswunden.
Bei der Mentalisierungsbasierten Therapie (MBT) steht das Verstehen der eigenen und fremden Gefühle im Vordergrund. Es braucht solche Therapien, um sich gut durch die eigenen emotionalen Stürme zu navigieren.
Medikamente können währenddessen als Stütze hilfreich sein, auch wenn es keine spezifischen Mittel gegen BPS gibt. Antidepressiva, Stimmungsstabilisierer oder niedrig dosierte Neuroleptika können einzelne Symptome wie Impulsivität, Angst oder auch Depressionen lindern.“
Weitere Informationen unter www.akutklinik-badsaulgau.de