Wann handelt es sich um Sucht?
Abhängigkeit erkennen, Abwärtsspirale entkommen
Nach einem anstrengenden Tag etwas Wein trinken, zum Stressabbau Zigaretten rauchen, bei Unzufriedenheit mit dem eigenen Körperbild das Essen reduzieren – was passiert, wenn kleine Gewohnheiten, die zunächst nur gelegentlich Freude oder Sicherheit schenken, unbemerkt die Kontrolle übernehmen?
„Die Grenze zwischen selbstbestimmtem Verhalten und unbewusster Abhängigkeit ist oft überraschend schmal, was es vielen Betroffenen erschwert, ihre Sucht zu erkennen“, weiß Dr. med. Steffen Häfner, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Klinik am schönen Moos.
Vom Reiz zur Routine
Sucht entsteht, wenn ein zunächst harmloses Bedürfnis immer häufiger und intensiver befriedigt wird, bis es letztlich das Handeln bestimmt. Ein Beispiel zeigt sich bei Essstörungen: Jemand beginnt vielleicht damit, seine Ernährung bewusster zu gestalten, um gesünder zu leben.
Doch nach und nach steigert sich der Drang, Kalorien zu zählen, Mahlzeiten auszulassen und vielleicht sogar sich gezielt zu übergeben.
„Das anfängliche Verlangen nach Kontrolle entwickelt sich zu einem Zwang, der Gedanken, Gefühle und Verhalten bestimmt – bis schließlich nicht mehr die Person entscheidet, sondern in diesem Fall die Magersucht“, betont Dr. Häfner.
Gefahren einer Abhängigkeit
Unabhängig davon, ob sie durch Substanzen wie Alkohol, Nikotin oder illegale Drogen oder durch zwanghaftes Verhalten, etwa beim Essen oder Glücksspiel, bedingt ist: Eine Sucht birgt viele Gefahren.
Dr. Häfner erläutert: „Sie schädigt den Körper, beispielsweise durch Unter- oder Mangelernährung, Organschäden oder Erschöpfung. Gleichzeitig wird die Psyche angegriffen, indem die Sucht natürliche Belohnungssysteme aus dem Gleichgewicht bringt und dadurch emotionale Stabilität, Selbstkontrolle und das Wohlbefinden beeinträchtigt.“
Auch das soziale Leben leidet: Beziehungen zerbrechen, Isolation wächst und berufliche oder schulische Leistungen sinken. Am Ende kann die Sucht das gesamte Leben bestimmen und massiv einschränken.
Nährboden für die Erkrankung
Auslöser einer Abhängigkeit sind meist Situationen, die von Stress, Konflikten oder sozialem Druck geprägt sind, aber auch bestimmte Orte und Personen, die ein schädliches Verhalten anstoßen.
„Die Ursachen hingegen liegen oft tiefer, etwa in genetischer Veranlagung, geringem Selbstwertgefühl oder belastenden Kindheitserfahrungen“, so der Facharzt.
Manchmal führt auch eine bestehende psychische Erkrankung zur Sucht, zum Beispiel, wenn Menschen mit Depressionen regelmäßig zu Alkohol greifen, um so ihre Symptome vermeintlich zu lindern.
„Umgekehrt können psychische Leiden durch die Sucht entstehen, etwa indem die Alkoholabhängigkeit zu starken Schuldgefühlen sowie sozialer Isolation führt und infolgedessen die Depression hervorruft“, erläutert Dr. Häfner.
Gezieltes Vorgehen
Die Unterscheidung von Sucht als Folge oder Ursache psychischer Erkrankungen spielt für die Behandlungsweise eine zentrale Rolle. Entstehen mentale Leiden erst durch eine Abhängigkeit, liegt der Schwerpunkt zunächst auf der Stabilisierung und dem Ausstieg aus eben dieser, bevor die psychische Krankheit behandelt werden kann.
Der Klinikdirektor betont: „Resultiert die Sucht hingegen aus einer mentalen Erkrankung, muss die Therapie sowohl die psychische Grundproblematik als auch das zwanghafte Verhalten gleichzeitig bearbeiten, um Rückfälle zu vermeiden.“
Kontrolle zurückgewinnen
Betroffene können sich aus der Abwärtsspirale befreien, indem sie lernen, wieder mehr Selbstbeherrschung zu erlangen.
„Ein erster wichtiger Schritt ist die Einsicht, dass ein Problem vorliegt. Danach bedarf es professioneller Hilfe, etwa durch Suchtberatungsstellen, Psychotherapie oder stationäre Programme, die sowohl körperliche Entgiftung als auch psychische Begleitung bieten“, so Dr. Häfner.
Er ergänzt: „Zusätzlich wirken Selbsthilfegruppen durch den gemeinsamen Austausch stärkend. Ebenso wichtig sind Strategien zur Rückfallprophylaxe, etwa der richtige Umgang mit Stress oder der Aufbau neuer, gesunder Gewohnheiten. Der Weg aus der Sucht ist oft lang, aber mit kontinuierlicher Unterstützung und eigener Motivation möglich.“
Weitere Informationen unter www.klinik-a-s-moos.de