Vom Spielplatz in die Therapie?
Warum immer mehr Jugendliche psychisch erkranken
Depressionen, Angststörungen, Essprobleme – mentale Belastungen bei jungen Menschen in der Adoleszenz, also der Zeit des Erwachsenwerdens, nehmen seit Jahren zu.
Häufig berichten Betroffene von dem Gefühl, der Welt nicht mehr gewachsen zu sein, von sozialer Isolation und Suizidgedanken.
„Psychische Probleme entstehen selten über Nacht“, sagt Prof. Dr. med. Petra Beschoner, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin und Ärztliche Leiterin der Akutklinik Bad Saulgau. „Sie entwickeln sich oft aus einer dauerhaften Überforderung – und bleiben lange unbemerkt.“
Wenn der Alltag krank macht
Was viele nicht wissen: Die Ursachen liegen häufig nicht in dramatischen Einzelerlebnissen, sondern im alltäglichen Druck, den unsere Gesellschaft auf junge Menschen ausübt.
Cybermobbing, schlechte Einflüsse durch soziale Medien, Leistungsstress in der Schule oder in Ausbildung und Studium und Zukunftsängste – all das kann seelisch krank machen.
Die Fachärztin erklärt: „Schon eine Drei als Note wird oftmals als Scheitern empfunden. Und viele eifern unrealistischen Zielen nach, wie Schönheitsidealen auf Instagram & Co. – dort scheint niemand Schwächen zu haben, alle sind makellos und erfolgreich. Die Folgen: Selbstzweifel, Essstörungen, Rückzug.“
Dazu belasten äußere Krisen wie Klimawandel, soziale Ungleichheit und finanzielle Sorgen den Alltag.
„Wenn Eltern unter Druck stehen, weil sie kaum die Miete zahlen können oder Angst vor Jobverlust haben, spüren Jugendliche und junge Erwachsene das – oft stärker, als man denkt. Die emotionale Stabilität in der Familie ist ein wichtiger Schutzfaktor“, weiß Prof. Beschoner.
Wer nicht ins Raster passt, fällt oft durchs Netz
Neben gesellschaftlichen Einflüssen spielen auch genetische Faktoren eine Rolle. Insbesondere neurodivergente Jugendliche und junge Erwachsene – etwa mit ADHS, Dyslexie, Dyskalkulie oder aus dem Autismus-Spektrum – entwickeln häufig psychische Erkrankungen.
„Diese jungen Menschen erleben die Welt oft intensiver und reagieren sensibler auf Reize, Druck und Veränderungen. In einem auf Leistung und Anpassung ausgerichteten System fühlen sie sich schnell überfordert“, sagt die Fachärztin und betont: „Unsere Schulen fördern leider oft Konformität statt Vielfalt. Für Kinder und Jugendliche mit beispielsweise ADHS oder Autismus bedeutet das, schon in jungen Jahren ständig inneren Stress aushalten zu müssen sowie das Gefühl, nicht ‚richtig‘ zu sein, eben nicht dazuzugehören.“
Fehlende Unterstützung und lange Wartezeiten für spezialisierte Hilfe verschärfen die Lage.
„Wenn diese jungen Menschen keine gezielte Förderung, verständnisvollen Lehrer oder keinen Zugang zu spezialisierten Therapieangeboten bekommen, kann das schwerwiegende Folgen für die Entwicklung haben, insbesondere auch für das Selbstwertgefühl“, so Prof. Beschoner.
Seelische Gesundheit braucht Priorität
Um die eigene psychische Verfassung, egal ob neurodivergent oder neurotypisch, zu stärken, können schon kleine Maßnahmen im Alltag helfen. So sorgen eine gute Tagesstruktur, ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, erfüllende Hobbys oder auch Entspannungsübungen für mehr Wohlbefinden.
„Doch um den Anstieg psychischer Erkrankungen wirklich zu stoppen, braucht es mehr“, betont Prof. Beschoner und ergänzt: „Psychotherapeutische Praxen sind überlastet und die Wartezeiten oft mehrere Monate lang. Viele geben in dieser Zeit auf – obwohl gerade frühzeitige Hilfe entscheidend wäre, um eine Chronifizierung zu verhindern.“
Sie fordert: „Psychische Gesundheit muss zur gesellschaftlichen Priorität werden – in Schulen, im Gesundheitssystem, in der Politik. Nur so können junge Menschen gestärkt durch diese herausfordernde Lebensphase gehen – statt daran zu zerbrechen.“
Dazu braucht es laut der Fachärztin konkrete Maßnahmen: mehr Therapieplätze, mehr Aufklärung an Schulen, Aufstockung von Beratungsstellen und eine offene, verständnisvolle Haltung gegenüber seelischen Belastungen. Denn psychische Gesundheit ist keine private Angelegenheit, sondern eine zentrale Voraussetzung für eine gesunde, zukunftsfähige Gesellschaft.
Weitere Informationen erhalten Sie auch direkt unter www.akutklinik-badsaulgau.de