Lipödem und Diabetes: wenn 2 chronische Erkrankungen sich gegenseitig verstärken
DDG rückt die Wechselwirkungen in den Fokus und fordert ganzheitliche Versorgung
Rund jede 10. erwachsene Frau in Deutschland lebt mit einem Lipödem – einer chronischen, schmerzhaften Fettverteilungsstörung. Gleichzeitig ist Diabetes eine der häufigsten chronischen Erkrankungen. Treffen beide Diagnosen zusammen, verschärfen hormonelle und stoffwechselbedingte Mechanismen die Situation im Alltag, in der Diagnostik und in der Therapie.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) fordert mehr Aufmerksamkeit und ein interdisziplinäres Behandlungskonzept.
„Das Lipödem ist eine schmerzhafte, chronisch fortschreitende, fast ausschließlich bei Frauen auftretende Erkrankung mit disproportionaler Fettvermehrung, vor allem an Armen, Hüften und Beinen auftretend und begleitet von Druck- und Spontanschmerzen. In Deutschland sind über 10 Prozent der erwachsenen Frauen betroffen“, sagt Professorin Dr. med. Claudia Eberle, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie & Diabetologie (DDG & ÄK), Kardiologie & Notfallmedizin, Ernährungsmedizin (DAEM/DGEM) sowie Infektiologie. „Gerade in hormonell sensiblen Lebensphasen – Pubertät, Schwangerschaft, Menopause – sehen wir besondere Herausforderungen. Das erfordert sensibilisierte Diagnostik und eine interdisziplinär eng verzahnte Versorgung.“
Wenn sich Mechanismen gegenseitig verstärken
Lipödem und Diabetes können einander beeinflussen: Veränderungen im Unterhautfettgewebe, Schmerzen und eine erschwerte Nutzung von Injektions- und Sensorstellen belasten den Alltag.
„Ich lebe seit meiner Pubertät mit dem Lipödem und erhielt erst nach 12 Jahren die richtige Diagnose. Mit 21 kam Typ-1-Diabetes dazu“, berichtet Kathi Korn, Keynote-Speakerin, Botschafterin für Menschen mit Diabetes und Autorin aus Walldorf. „Insulin senkt meinen Blutzucker – kann aber das betroffene Fettgewebe wachsen lassen. In verändertes Gewebe gespritzt, wirkt es oft schlechter und langsamer. Das führt zu längeren Abständen zwischen Spritzen und Essen, instabilen Werten und starken Schmerzen an Setzstellen.“
Versorgung braucht Sensibilität und Struktur
Für die Behandlung des Lipödems gibt es inzwischen genauere diagnostische Kriterien und therapeutische Empfehlungen – etwa zu konservativen und operativen Maßnahmen.
„Entscheidend ist eine geschlechtersensible, individuell angepasste Betreuung: Dazu gehören eine differenzierte hormonelle Anamnese, eine auf die Patientin zugeschnittene Schmerz-, Bewegungs- und Kompressionstherapie, psychosoziale Unterstützung sowie eine verständliche Aufklärung über alle Behandlungsoptionen – und eine individuell optimierte Diabetestherapie“, erklärt Eberle, Inhaberin der W2-Professur für „Innere Medizin & Allgemeinmedizin“ an der Universitätsmedizin Marburg – Campus Fulda und Hochschule Fulda – University of Applied Science. „Unser Ziel muss eine patientenzentrierte Versorgung sein, die medizinische, psychosoziale und praktische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt und Patientinnen und Patienten in allen Lebensphasen begleitet.“
Erfahrung, die den Alltag verändert
Bei Kathi Korn war eine Liposuktion der Wendepunkt
„Nach mehreren Eingriffen an Oberarmen, Oberschenkeln und am Bauch wirkte mein Insulin deutlich besser und schneller. Ich brauchte weniger Insulin, konnte alle Setzstellen wieder verwenden und habe – zusammen mit Bewegung und antientzündlicher Ernährung – stark an Gewicht verloren. Das ist ein Stück Lebensqualität, das ich mir zurückerobert habe.“ Zugleich wünscht sie sich mehr Unterstützung: „Liposuktionen sind teuer und werden nur unter engen Voraussetzungen übernommen. Hier braucht es mehr Empathie und weniger Bürokratie.“
Forschungslücken schließen, Qualität sichern
Trotz wachsender Aufmerksamkeit bestehen Evidenzlücken – etwa zur Langzeitwirksamkeit von Therapien und zur Versorgungsrealität. „Wir benötigen nationale Register, klare Qualitäts- und Indikationskriterien und mehr geschlechtersensitive Versorgungsforschung“, betont Professorin Eberle.
Dazu gehört auch, gendermedizinische Inhalte in Ausbildung und Weiterbildung zu verankern.
Kathi Korn ergänzt: „Das Lipödem ist keine optische Bagatelle. Diabetologinnen und Diabetologen sollten die Besonderheiten der Insulintherapie bei Betroffenen kennen. Aufklärung in Medizin, Medien und Politik ist überfällig.“
Beide machten deutlich: Lipödem und Diabetes können sich gegenseitig beeinflussen – und verlangen ein individuelles Behandlungskonzept, das sowohl die Diabetes- und die Lipödemtherapie als auch Körper und Psyche gleichermaßen berücksichtigt. Ziel ist eine Versorgung, die Betroffene früh erreicht, Schmerzen lindert und den Alltag spürbar erleichtert.
„Nur in der Interdisziplinarität kann eine optimierte Versorgung entstehen, die Frauen wirklich hilft“, fasst Professorin Eberle zusammen. Korn ergänzt: „Wissen teilen, sich austauschen und dranzubleiben – das macht den Unterschied im Leben mit zwei chronischen Erkrankungen.“
Professor Dr. med. Karsten Müssig, Tagungspräsident der Diabetes Herbsttagung 2025 und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Diabetologie am Franziskus-Hospital Harderberg der Niels-Stensen-Kliniken ergänzt: „Im Mittelpunkt der diesjährigen Diabetes Herbsttagung 2025 standen die Förderung der Frauengesundheit und die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit, um eine geschlechtersensible und ganzheitliche Versorgung von Frauen mit Diabetes zu gewährleisten.“
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)
ist mit mehr als 9300 Mitgliedern eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland.
Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich seit 1964 in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert Behandlungseinrichtungen und entwickelt Leitlinien.
Ziel ist eine wirksamere Prävention und Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der mehr als 9 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem Zweck unternimmt sie auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.