Gendermedizin in der Diabetologie

Typ-2-Diabetes bei Männern häufiger, bei Frauen mit mehr Problemen

Gendern und Gendergerechtigkeit – heute ein heißes Thema, in Schrift (Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt) und Sprache (kurze Pause),  oder etwa  bei der Stellenverteilung in Parlamentsfraktionen oder in Führungsgremien,  aber auch in der Medizin.

Frau Professor Alexandra Kautzky-Willer, seit 2010 die erste Professorin für Gendermedizin in Österreich an der Medizinischen Universität Wien gab Marian Schäfer über Genderprobleme in der Diabetologie ein Interview, das im DIABETES RATGEBER vom Oktober 2023 abgedruckt wurde (1). 

Prof. Helmut Schatz darf darüber berichten. 

Diabetologinnen und Diabetologen sind die angesprochenen Sachverhalte vertraut, Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern aber wohl nicht immer im Detail  und in dieser Deutlichkeit.

In der Kardiologie sind die Geschlechtsunterschiede etwa bei den Symptomen eines Herzinfarktes recht gut bekannt, beim  Diabetes sieht es anders aus. Frau Kollegin Kautzky-Willer, die der Referent (H.S.) seit  seiner Wiener Zeit auch persönlich gut kennt, hat darüber intensiv geforscht.

So weist sie darauf hin, dass bei Frauen der Typ-2-Diabetes später diagnostiziert wird und viele von ihnen schon zum Zeitpunkt der Diagnosestellung stärkeres Übergewicht, höheren Blutdruck und somit ein höheres kardiovaskuläres Risiko aufweisen. 

Diabetespatientinnen  dürften auch weniger effizient als männliche therapiert werden.

Obwohl Frauen häufiger zu Ärztin oder Arzt gehen  und gesundheitsbewusster leben als Männer,  wird bei ihnen ein Diabetes oft später diagnostiziert, auch weil – insbesondere bei prämenopausalen Frauen – weniger getestet wird .

Beim Screening bzw. Check-up wird meist nur der Nüchternblutzucker gemessen, für den die gleichen Referenzwerte angeführt werden, obwohl diese für  Frauen generell niedriger sind. Somit könnte schon ein Prädiabetes oder eine grenzwertig manifeste Erkrankung vorliegen.

Bei Frauen sollte bei Überprüfung auf Diabetes immer auch den HbA1c-Wert bestimmt werden 

Besser wäre noch ein Glukosebelastungstest: Bei Frauen fällt dieser häufiger pathologisch aus als bei Männern. Dies gilt natürlich auch für den Schwangerschaftsdiabetes, einer oft schon recht späten Diabetesmanifestation. Leider erfolgen nicht immer die regelmäßigen Kontrollen nach der Entbindung.

Oft wird nur 1x nachkontrolliert, und dann nur mit einer Nüchternblutglukose-Bestimmung. Ein Gestationsdiabetes ist aber  bekanntlich ein der größte Risikofaktor für einen späteren Typ2-Diabetes. Somit tragen diese Frauen ein generell höheres Risiko für  Herzkreislauf-Erkrankungen wie Myokard- und Zerebralinfarkt. 

Wenn aber die Frau eine vernünftige Nachsorge zusammen Bekämpfung  von Übergewicht, mit physikalischen Aktivität und gesünderer Ernährung betreibt, so profitiert die gesamte Familie davon. Es betrifft also nicht nur die Mütter, sondern auch die öffentliche Gesundheit.

Für Männer sind normale Spiegel von Testosteron, für Frauen von Östrogenen von Vorteil. Frauen mit einem Syndrom der Polyzystischen Ovarien (PCOS) mit erhöhten Testosteronwerten weisen aber ein erhöhtes Diabetesrisiko auf, und auch, wenn ihr Östrogenspiegel in der Menopause sinkt, insbesondere bei vorzeitigem Wechsel.

Frau Professor Kautzky-Willer weist besonders auf die zunehmend als wichtig erkannte Rolle von Stress hin. Stress stellt einen eigenständigen Risikofaktor für Typ-2-Diabetes dar, und findet sich als solcher bei Frauen häufiger als bei Männern.

Es wird  betont, dass Frauen häufig von unbezahlter Arbeit zufolge der Kindererziehung und Pflege von Angehörigen betroffen sind. Stärker als Männer reagieren sie auf psychosoziale und emotionale Probleme.

Die Menopause wirkt sich also nicht nur durch die gesunkenen Östrogenspiegel aus, sondern auch durch die emotionale Belastung, wenn die Kinder aus dem elterlichen Haus ziehen,  oder eine Scheidung erfolgt

Die Diabetestherapie ist bei Frauen oft weniger erfolgreich: Zufolge späterer Diagnose – insbesondere prämenopausal erden Frauen weniger geteststsind zunächst die Diabeteskomplikationen häufiger.

Eine Ursache dafür  könnte aber auch ein Problem der ärztlichen Kommunikation mit den  Frauen sein

Ärzte nehmen sich meist nicht so viel Zeit für das Patientengespräch wie Ärztinnen,  stellen weniger offene Fragen und beachten  nicht so sehr die bei Frauen häufigen Nebenwirkungen von Medikamenten, was zu einer geringeren Compliance führen kann.

Die Nebenwirkungen wurden bei den älteren Medikamenten gezielt kaum an Frauen getestet. Jetzt ist die nicht mehr der Fall, wenn auch Frauen, in  insbesondere nach dem Wechsel nicht so genau  untersucht wurden. 

Ebenfalls  wurde kaum geprüft, ob nach der Menopause Medikamente anders wirken und ob bzw. wie man die Dosis anpassen sollte.

Auf die  Wirkung von Diabetestherapeutika zusammen mit oralen Kontrazeptiva  oder den Einfluss einer  Schwangerschaft wäre auch bei den neuen Medikamenten zu achten. So steht selbst bei den neuen Therapeutika einfach, da Daten aus Testungen fehlen, dass „man sie in der Schwangerschaft nicht nehmen darf“.

Schließlich stellt Frau Professor Kautzky-Willer  fest, das auch das männliche Geschlecht  von einer geschlechtsgerechten Medizin profitieren könne. So wie Männer häufiger als Frauen an Diabetes erkranken, werden  umgekehrt Depressionen bei Frauen doppelt so häufig diagnostiziert, und dies nicht nur, weil Männer seltener darunter leiden. Hier öffnet sich ein weiteres Feld für die Gendermedizin.

Publiziert am 4. Oktober 2023 von Prof. Helmut Schatz

P.S.: Im DGE-Blog wurde  vor 2 Wochen über das am 1. Juli 2023 an der Ruhr-Universität Bochum neu gegründete „Institut für Diversitätsmedizin“ berichtet, das von unserer neuen Ordinaria,  Frau Professor Marie von Lilienfeld-Toal geleitet wird. Dieses Institut wird sich auch mit Fragen der Gendermedizin beschäftigen (2).

Literatur

(1) Alexandra Kautzky-Willer im Interview mit Marian Schäfer: Männer bekommen öfter Diabetes als Frauen, beim weiblichen Geschlecht macht jedoch die Krankheit häufiger Probleme: Brauchen wir eine bessere Therapie?
Diabetes Ratgeber, Oktober 2023. Nr. 417/46. Jahrgang, Seite 26-29

(2) Helmut Schatz: Institut für Diversitätsmedizin an der Ruhr-Universität Bochum.
DGE-Blogbeitrag vom 18. September 2023