Endlich schneller zur Migräne-Prophylaxe

Krankenkassen übernehmen erleichterte Antikörper-Therapie

Seit dem 1. Oktober 2022 ist die Welt für viele Menschen mit Migräne leichter: Es gilt eine neue Erstattungssituation für die Migräne-Prophylaxe mit dem Antikörperwirkstoff Erenumab. Anders als zuvor, ist er auch unabhängig von Vortherapien erstattungsfähig und wird dementsprechend von den Krankenkassen übernommen.

Experten sprechen sogar von einem „Paradigmenwechsel“ in der Migränetherapie, auf den sie schon lange gehofft und gewartet hatten.

Der Entscheidung zum 1. Oktober 2022 waren lange Verhandlungen vorangegangen. Auf Grundlage der Ergebnisse der HER-MES-Studie1 stellte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bereits am 21. Oktober 2021 für Erenumab einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie, wenn eine konventionelle Migräne-Prophylaxe in Frage kommt, mit Topiramat fest (Wirkstoff, der ursprünglich zur Therapie von Epilepsie entwickelt wurde und auch zur Prophylaxe von Migräne eingesetzt wird).2

Auf diesem Entscheid basiert die neue Erstattungsfähigkeit des Wirkstoffes, die alle erwachsenen Patient*innen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat betrifft – unabhängig von einer Vortherapie.

Bisher konnten diese die innovative Therapie nur dann erhalten, wenn bei ihnen mehr als drei klassische Prophylaxe-Therapien zuvor nicht ansprachen oder sie die anderen Wirkstoffe nicht vertrugen.

Paradigmenwechsel in der Migränetherapie

Für den Kopfschmerz-Experten Prof. Dr. Uwe Reuter, Facharzt für Neurologie, Ärztlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Greifswald und zuvor lange an der Charité Universitätsmedizin Berlin tätig, bedeutet diese Entscheidung einen großen Schritt nach vorne in der Migräne-Prophylaxe. Denn „Patient*innen mit einer Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Migräne [müssen] nicht mehr alle vier oralen Substanzklassen in der Migräne-Prophylaxe ausprobieren […], bis sie zu einer effektiven, zielgerichteten und nebenwirkungsarmen Therapie gelangen können“.

Die Auflage, ein anderes Präparat (Tablette) zur Prophylaxe vor der Erstattung der Therapie mit Erenumab erfolglos versucht haben zu müssen, hält der Experte für angebracht und verhältnismäßig. „Der Entscheid für die neue Erstattungssituation ist eine gute Nachricht für viele Betroffene sowie die behandelnden Ärzte. Wir begrüßen das Ergebnis, das ein wichtiger Schritt zu einer besseren Versorgungssituation für Migräne-Patient*innen ist. Wir können hier von einem Paradigmenwechsel sprechen, denn davon werden viele Betroffene profitieren, die sonst unter Umständen lange auf diese Therapiemöglichkeit hätten warten müssen,“ so Prof. Dr. Reuter.

CGRP-Antikörper gegen den Schmerz

Erenumab ist der erste in Deutschland zugelassene Wirkstoff zur vorbeugenden Migräne-Therapie und schaltet das Migräneschmerz-Protein CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) durch Antikörper aus. Die sogenannte Migränespritze wird mittels Autoinjektions-Pen verabreicht und kann, regelmäßig einmal im Monat angewendet, akute Schmerzphasen bei vielen Betroffenen langfristig vermeiden.

 In klinischen Studien3,4konnte gezeigt werden, dass sich bei der Mehrheit der Patient*innen, die auf die Therapie mit Erenumab angesprochen sind, der klinische Nutzen bereits innerhalb der ersten drei Monate zeigte.5 Auch wenn der bisher in Standardtherapien verwendete Wirkstoff Topiramat ebenfalls effektiv ist, sei der neue Wirkstoff Erenumab erstens deutlich besser verträglich und zweitens wesentlich wirksamer in Bezug zur Reduktion der Migränetage pro Monat, so der Experte weiter.

Deutschland immer noch (Migräne-)Entwicklungsland
Noch deutlich ausbaufähig ist jedoch, dass bisher nur etwa 50 Prozent der Patient*innen in Deutschland mit Anspruch auf eine Migräne-Prophylaxe diese auch erhalten.6

Dem soll die neue Erstattungssituation nun entgegenwirken. Da Behörden in Deutschland allerdings einen Nachweis der Überlegenheit einer Substanz gegenüber einer bekannten Standardtherapie mittels einer direkten Vergleichsstudie verlangen, hat es so lange gedauert, bis Betroffene schneller von der neuen Therapieoption profitieren konnten, erklärt Prof. Dr. Reuter.

Eine entsprechende Studie (genannt HER-MES) hat nur der Hersteller von Erenumab durchgeführt.

Referenzen
•    Reuter U et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia. 2022; 42(2): 108–118.

•    Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Erenumab (Neue wissenschaftliche Erkenntnisse (§ 14): Migräne-Prophylaxe).
     https://www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/679/#dossier (letzter Zugriff: 27. September 2022).

•    Goadsby PJ et al. Trial of erenumab for episodic migraine. N Engl J Med. 2017 Nov; 377(22): 2123–2132.

•    Tepper S et al. Safety and efficacy of erenumab for preventive treatment of chronic migraine: a randomised, double-blind, placebo-controlled phase 2 trial. Lancet Neurol. 2017 Jun; 16(6): 425–434.

•    Fachinformation Aimovig®.

•    Groth M, Katsarava Z, Ehrlich M. Results of the gErman migraine PatIent Survey on medical Care and prOPhylactic treatment Experience (EPISCOPE). Sci Rep. 2022; 12: 4589